Samstag, 26. Januar 2008

Orient und Okzident

mi 8° s Und pausenlos schlägt der Fink in der schon recht warmen Sonne.

- Wir sind zum Glück nicht Kinder des Orients
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.01.2008, Nr. 21, S. 41
Im intellektuellen Rummel, den die These von Raoul Schrott über Homer als Schreiber in assyrischen Diensten auslösen wird, droht der Leitartikel von Dieter Bartetzko "Wir sind Kinder des Orients" (F.A.Z. vom 29. Dezember), der die ideologischen Konsequenzen von Schrotts "Entdeckung" zu ziehen versucht, unbemerkt zu bleiben. Dabei ist das, was einer Ihrer führenden Mitarbeiter auf Seite 1 Ihrer angesehenen Zeitung schreibt, möglicherweise wichtiger als Schrotts Sensations-These.

Daher ist es nicht müßig, auf drei Denkfehler in Bartetzkos Artikel hinzuweisen. Der erste besteht darin, dass suggeriert wird, es gebe einen einheitlichen "Orient" von der Hochkultur der Sumerer bis heute, von Gilgamesch bis Chomeini, Bin Ladin und Saddam Hussein. Man kann eine gewisse Kontinuität von den Sumerern über die Babylonier zum neuassyrischen Reich konstatieren, doch was dann folgte (Perserreich und Hellenisierung durch den Alexanderzug), war etwas ganz anderes. Dieses ganz andere wurde vollends militärisch erobert und kulturell fast vollständig verdrängt durch die kriegerische Kultur der arabischen Beduinen, die Mohammed als den Propheten Allahs ansahen. Auch wenn wir, der Okzident, "Kinder des Orients" im Sinne von Schrott und Bartetzko wären, wären wir dadurch noch nicht kulturgeschichtliche Zwillinge der Muslime, deren Herrschaft einen vollständigen Bruch mit dem, was im Nahen Osten vom Alten Orient übriggeblieben sein mag, brachte.

Der zweite Irrtum besteht in der Annahme, dass Thesen wie die von Schrott "ins allgemeine Bewusstsein von Abend- und Morgenland" eindringen könnten. Da der Islam nichts entwickelt hat, was als kritische Geisteswissenschaft und komparatistische Geistesgeschichte in unserem Sinne gewertet werden könnte, besteht absolut keine Gefahr, dass Homer und seine Beziehung zum Gilgamesch-Epos, das ja schließlich auch von Ungläubigen stammt, für Muslime irgendeine Bedeutung haben könnte.

Und drittens kann man nicht genug staunen über die Naivität der Annahme, die Erkenntnis, dass wir Westler "Kinder des Orients" sind, könnte zu "gegenseitigem Respekt" führen. Der Fehler steckt in "gegenseitig": Respekt gebührt dem Vater, also dem "Orient", die "Kinder", also wir, hätten uns allein in Gehorsam zu üben. Das erste und Wichtigste, was wir hinsichtlich der islamisch-westlichen Kulturbeziehungen verstehen müssen, ist die totale Verweigerung der Reziprozität: Wenn wir den Islam bei uns aufnehmen, ihn schützen und fördern, ihn Moscheen und Kulturzentren in großer Zahl bauen lassen, dürfen wir nicht erwarten, dass der Islam seinerseits dem Christentum denselben Respekt zollt, weder im Nahen Osten noch auch nur hier in unserem eigenen Land. Reziprozität ist ein Grundzug der homerischen Ethik. Im Gilgamesch-Epos findet sich einseitige Dominanz des Super-Helden Gilgamesch. Wir sind zum Glück nicht Kinder des Orients.

PROFESSOR DR. THOMAS ALEXANDER SZLEZÁK, TÜBINGEN

- Hätte sich Goethe auch schon denken können, immerhin hat er die Kurve in FAUST II indirekt noch bekommen, in späteren, klügeren Jahren.

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