Dienstag, 26. August 2008

Selbstmordattentäterinnen

Dieses verwirrte Mädchen wurde den Kameras präsentiert

"Irak. Frauen, die den Tod bringen. Von Hans-Christian Rößler, FAZ.
25. August 2008 Fünfzehn Jahre alt soll das Mädchen erst gewesen sein, das sich am Wochenende an einem Kontrollpunkt irakischer Sicherheitskräfte in der Unruheprovinz Dijala in letzter Minute entschied, ihre Sprengstoffweste nicht zu zünden. Statt dessen habe sie die Beamten gebeten, ihr die Bombe abzunehmen, berichteten am Montag amerikanische und irakische Sicherheitskräfte. Danach habe sie der Polizei gezeigt, wo ein weiterer Sprengstoffgürtel gelegen habe. In einem Verhör, von dem später ein Video veröffentlicht wurde, bestritt das verwirrt wirkende Mädchen jedoch, dass es die Bombe wirklich zünden wollte. Während der Aufnahme verwickelte sich die junge Frau, die sagte, sie heiße Rana und sei 1993 geboren, in zahlreiche Widersprüche.

Es war das erste Mal, dass solche Aufnahmen so schnell der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Zugleich dokumentierte das Video, dass Terroristen nicht nur immer häufiger Frauen für Anschläge einsetzen, sondern auch, dass diese immer jünger sind. Der irakische Internetdienst „Niqash“ zitierte einen Sprecher des Innenministeriums in Bagdad, der berichtete, dass der letzte Selbstmordanschlag von einem 15 Jahre alten Mädchen verübt worden sei, das die Drahtzieher offenbar mit Medikamenten ruhiggestellt hatten. Insgesamt hätten allein in den vergangenen zwei Monaten sieben Frauen Selbstmordanschläge verübt; seit Jahresbeginn waren es 16 Frauen. Sie töteten oder verletzten dabei 356 Menschen.

Terrornetz in Bedrängnis

Zu weiteren 34 Selbstmordattentaten habe Al Qaida in den vergangenen beiden Jahren Frauen ausgesandt. Die meisten von ihnen seien in einem speziellen Ausbildungslager in der Provinz Dijala auf ihre tödliche Mission vorbereitet worden, berichtet der Internetdienst Niqash. Ende Juli machten sich an einem einzigen Tag drei Frauen auf den Weg in den Tod - Dutzende Menschen kamen dabei um.
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Dass islamistische Terroristen im Irak immer häufiger Frauen einsetzen, ist wohl kein Zufall - die Terroristen scheinen damit darauf zu reagieren, dass es seit der amerikanischen Truppenverstärkung Anfang 2007 und der folgenden Großoffensive gemeinsam mit der irakischen Armee und den Milizen der sunnitischen Erweckungsräte gelungen ist, sie weit zurückzudrängen. Nachdem sich Al Qaida weitgehend aus Bagdad und der westlichen Provinz Anbar in die Provinz Dijala zurückgezogen hatte, gerät das Terrornetz offenbar auch dort stark in Bedrängnis.

Die Motive, die Frauen dazu bewegen, Selbstmordattentäterinnen zu werden, sind im Irak erst in Ansätzen erforscht. Ein Grund, auf den Ermittler immer wieder stoßen, ist der Wunsch, nahe Angehörige zu rächen. So waren in einigen Fällen Ehemann, Sohn oder Bruder von irakischen oder ausländischen Soldaten getötet oder gefangengenommen worden. In Dijala soll sich eine Mutter, deren fünf Söhne die irakische Polizei getötet hatte, den Terroristen angeschlossen haben: Sie zündete ihre Bombe in einer Gruppe von Polizeirekruten; mehr als 40 Menschen wurden dabei getötet.
Fünfzehn Tote, 35 Verletzte: Bakuba am 22. Juni nach dem Anschlag einer Selbs...

Fünfzehn Tote, 35 Verletzte: Bakuba am 22. Juni nach dem Anschlag einer Selbstmordattentäterin

Arm, missbraucht, schlecht ausgebildet

Oft spielt aber nach Beobachtung irakischer und amerikanischer Fachleute der Druck der eigenen Familie eine größere Rolle als das Versprechen, sofort ins Paradies zu kommen. Gezielt rekrutierten Extremisten zudem junge Frauen, die keine Schuldbildung hätten oder behindert seien. In Dijala stammten auffällig viele Attentäterinnen aus armen Verhältnissen und abgelegenen Dörfern, heißt es. Auch sexueller Missbrauch durch ältere Al-Qaida-Führer, mit denen die Attentäterinnen als junge Mädchen verheiratet wurden, wird als Grund dafür genannt, dass einige junge Irakerinnen lieber den Tod suchen.

Nach einigen Berichten zünden die Terroristen die Sprengstoffgürtel der Frauen aus der Ferne, um sicherzugehen, dass die Attentäterinnen sich nicht in letzter Minute anders entscheiden. Manchen sei auch nur gesagt worden, sie sollten ein Paket zu einer bestimmten Adresse bringen. Darin befand sich jedoch Sprengstoff, den Terroristen aus der Ferne zündeten.
Auch hier brachte eine Frau den Tod: Am 7. Juli starben auf einem Markt in Ba...

Auch hier brachte eine Frau den Tod: Am 7. Juli starben auf einem Markt in Bakuba zwölf Personen

Nicht nur gläubige Täterinnen

Neben dem Wunsch nach Vergeltung sieht die amerikanische Terrorismusforscherin Mia Bloom von der Universität Georgia auch als Motive den Wunsch, „den Familiennamen zu reinigen, einem Leben in beschützter Monotonie zu entfliehen, berühmt zu werden oder eine Art Gleichheit in ihrer patriarchalischen Gesellschaft herzustellen“. Ihr fiel auf, dass unter den mehr als 220 Selbstmordattentäterinnen, die sie für die Zeit zwischen 1985 und 2006 zählte, gleich viele säkularen wie religiösen Organisationen angehörten. Religiöse Gruppen hätten zunächst sogar gezögert, Frauen loszuschicken, sagt Mia Bloom.

Der erste Selbstmordanschlag mit einer weiblichen Täterin fand nach ihren Erkenntnissen 1985 im Libanon statt: Damals ließ die säkulare libanesische Sozialistische Syrische Nationalpartei ein Mädchen in eine Gruppe israelischer Soldaten laufen. Die Organisation, die bisher die meisten Selbstmordattentäterinnen ausgesandt hat, sind die tamilischen Befreiungstiger in Sri Lanka. Aber auch in Israel oder Tschetschenien verübten Frauen Selbstmordanschläge.

Im Irak versuchen nun die amerikanischen Soldaten ein im Antiterrorkampf bewährtes Modell auch bei Frauen anzuwenden. In Anlehnung an die „Söhne des Iraks“ genannten sunnitischen Milizen, die in Bagdad und den westlichen Provinzen erfolgreich gegen Al Qaida kämpfen, haben sie jetzt eine Organisation der „Töchter“ gegründet. Mittlerweile 150 Frauen sollen gezielt auf die Suche nach Selbstmordattentäterinnen gehen. Ihre neue Arbeit verschafft den Frauen zugleich ein Einkommen, das die meisten genauso dringend brauchen wie eine Perspektive für ihr Leben."

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