Sonntag, 12. April 2009
OSTERSPAZIERGANG, Das Gehirn und die Systeme
10-22°C, nachts Gewitter
OSTERSPAZIERGANG Vor dem Tor
Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dort her sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur.
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlts im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen!
Aus dem hohlen finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden:
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß in Breit und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!
Goethe, Faust I
- "Das Gehirn denkt, fühlt, sieht, hört, riecht: Nichts." Das meinte Exupery auch, oder doch so ähnlich: "Man sieht nur mit dem Herzen gut. Und Lu.: Seine 'Liebe als Passion' leitet Luhmann mit Bezug auf einen Aphorismus La Rochefoucaulds ein: "Es gibt Leute, die sich nie verliebt hätten, wenn sie nicht von der Liebe hätten sprechen hören." Was bei Rochefoucauld trockene Ironie ist, verwandelt sich beim Juristen als Soziologen Lu. in sinnhubernden Kode-Ernst. Also: die Sinnkonstruktionen denken, fühlen, sehen, riechen. Das riecht nach Nominalismus. Nach der Finsternis, die sich das Licht erschuf. Oder: die Ostereier liefert der Osterhase. Letzteres kann nun wirklich niemand bezweifeln.
Die Hühner sehen das aber nüchterner: wenn sie warngackern, reagieren alle Nichtbeutegreifer in der Umgebung, die fühlen sich offenbar adressiert, die Botschaft ist akustisch und semiologisch so artikuliert, daß sie auch von den Krähen (und Elstern) verstanden wird, die sich zusammentun und den Bussard angreifen (Aggressivität) und immer erfolgreich vertreiben. Botschaft, Mitteilen und Verstehen. Und kooperative Angriffshandlung.
Die Botschaft des allein männlichen Reviergesangs (das ist weder der Alarmruf und noch der leise Warnruf an die Nestlinge) richtet sich vor allem an die Fraßkonkurrenten und heißt: Hier bin ich, niemand sonst, haut ab. Säugetiere am Schreibtisch decodieren diese Abschreckungsmelodien gern als Derivate mütterlicher Wiegenlieder und deren evolutiven musikalischen Nachfolgungen. Hier blitzt die Ambiguität der Zeichen auf. Die Nebenfunktion des Reviergesangs, vielleicht ist er deswegen so schön melodiös, ist auch die Anlockung einer Reproduktionspartnerin mit den Botschaften: hier ist ein Revier und hier ist ein hörbar potenter Revierinhaber (da macht das Nachtigallenhähnchen im Frühjahr sogar Nachtschicht); die Mitteilungsform ist der Gesang; und wenn dann eine Henne niedergeht, dann hat sie offenbar verstanden und ist zur strukturellen Kopplung bereit. Das Ganze macht aber bei Luhmann keinen sozialsystemischen Sinn, weil die Vögel nicht als Psychische Systeme anzusehen sind, die mit Bewußtsein operieren und eine Vorstellung nach der anderen erzeugen. Die Vögel haben nur ein Nervensystem, das aber keinen Sinn macht, jedenfalls keine Vorstellungen in einem Bewußtseinsstrom.
Diese Trennung von Nervensystem und Psych. Syst. hat zwar einen guten Grund, weil Luhmanns gesellschaftliche Systeme Sinn machen sollen, aber ich finde sie trotzdem problematisch.
Es ist die Hirnrinde, der Neokortex, der Vorstellungen aller Art erzeugt , und die Vögel haben keinen Neokortex, trotzdem können sie kommunizieren. Andererseits stehen hinter großen Neokortex-Vorstellungen oft nur unsinnhafte Verfaßtheiten des Nervensystems wie eine stark ausgeprägte Extraversion kombiniert mit psychotizistischer Tötungslust. Das kann dann einen Alexander bis nach Indien und einen Dschingis Khan bis nach Peking und nach Persien treiben. Die verschiedenen Systeme des Gehirns stehen in stark verflochtener Wechselwirkung miteinander, das Stammhirn mit dem Limbischen System und dem Neokortex, und alle zusammen mit dem endokrinologischen System. Spritzt man einer jungen weiblichen Ratte Oxitocin, dann beginnt sie mit dem Nestbau und sammelt die Nestlinge der Nachbarschaft ein und verbringt sie in ihr Nest. Macht keinen Sinn, würde wohl Lu. sagen und als soziale Handlung nicht anerkennen. Bei seinen Annahmen macht das Sinn, aber insgesamt genug?
Die gegenwärtige sog. Finanzkrise - die im wesentlichen aus einer US-Immobilienkrise besteht, die durch sozialstaatliche Niedrigzinspolitik induziert wurde, läßt sich subsystemisch sehr gut analysieren und begreifen. Es gibt aber einen weit verbreiteten starken Drang irgendwo im Neokortex, komplexe Wirkungsketten auf Kinderkanaltrivialität zu reduzieren - auch dieses bedeutende Phänomen ist ein konstitutionelles Problem, wenn man die Systeme so stark trennt und das Nervensystem ganz abtrennt. Und: Ohne ein entsprechend disponiertes und disponierendes Kleinhirn wären Alex und Dschingis gar nicht erst losgeritten, sondern brav in der Stube geblieben wie Pascal es empfahl: Alles Unglück dieser Welt komme nur daher, daß die Menschen nicht verstünden, ruhig auf ihrem Zimmer zu bleiben.
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