Freitag, 19. Februar 2010

Friedrich Hoffmann, Rudolf ZENKER, Vertrauen ist ein Bedürfnis




- 19. Februar 1660: Geburtstag des Arztes Friedrich Hoffmann (-1742), der mit seiner mechanischen Perspektive auf den Körper und seinen empirischen Fallsammlungen ein Wegbereiter der modernen, naturwissenschaftlich fundierten Medizin genannt werden kann.

- 19. Februar 1958: Rudolf ZENKER, führte in Marburg die erste erfolgreiche Operation am offenen Herzen in Deutschland unter Verwendung einer Herz-Lungen-Maschine durch. Später die erste, chirurgisch geglückte Herztransplantation. Ein Meilenstein der modernen Chirurgie. Hier erscheint die moderne Medizin bereits weiter differenziert in Fachgebiete und leistungsfähige Spezialisierungen.

- Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
Das kann der Herzpatient, der Patient überhaupt, nicht mehr sagen. Er muß dem Spezialisten vertrauen oder die Behandlung vermeiden. Zu Friedrich Hoffmanns Zeiten war das in der Regel die gesündere Entscheidung, wie auch noch in Goethes Tagen:

Hier war die Arzenei, die Patienten starben,
Und niemand fragte: wer genas?
So haben wir mit hoellischen Latwergen
In diesen Taelern, diesen Bergen
Weit schlimmer als die Pest getobt.
Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben:
Sie welkten hin, ich muß erleben,
Dass man die frechen Mörder lobt.

Goethe, Faust I, Vor dem Tor

Der junge Schiller wurde als Regiments-Medikus von seinem Vorgesetzten aus dem Verkehr gezogen, weil er die Gesundheit der Truppe gefährdete.
Wer sich vor etwa 1850 einer medizinischen Behandlung unterzog, hatte unerträglich große Schmerzen oder sehr viel Vertrauen. So viel Vertrauen, wie dies in der Faust-Szene zum Ausdruck kommt: die Bauern besaßen blindes Vertrauen in Fausts Heilkünste, über alles Maß hinaus. So viel Vertrauen, wie wir Heutigen in die Wissenschaften setzen, obwohl auch dort vielfach gilt, man denke nur an die Klima-Phantasten, was Faust in der gleichen Szene dem wissenschaftsgläubigen Wager sagt:

O glücklich, wer noch hoffen kann,
Aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen!
Was man nicht weiß, das eben brauchte man,
Und was man weiß, kann man nicht brauchen.

Im Falle der modernen Medizin kann man argumentieren, daß Naturwissenschaft und Kunstfertigkeit so große Fortschritte gemacht haben, daß sich der Gang zum Arzt eher lebensverlängernd als verkürzend auswirkt. Aber auch in anderen Bereichen fällt der Vertrauenskredit groß aus. Vom Kindergarten bis zur Regierung, vom Bäcker bis zu Banker wird vertraut. Fast könnte man von Vertrauenssucht sprechen, ja, das Vertrauen nimmt sogar zu, je unvertrauter der Bereich ist. Ausnahmen bestätigen die Regel. Wie kann das sein? Offenbar ist Vertrauen das, was zwar nicht die Welt, aber doch die Menschen, die Gesellschaft zusammenhält. Es ist ein stammesgeschichtliches Erbe aller Gruppentiere, auch der Hund verhält sich so. Er erwartet vom Menschen Gutes und paßt sich in eine Familie ein, auch wenn er dort geschunden wird, gleich wie die Kinder der Familie, auch wenn die Eltern bösartig sind. Diese Vertrauenshaltung verlängert sich in die Institutionen hinein, deren Repräsentanten, Häuptlinge und Führer. Man folgt dem Vertrauensinhaber, der sozialen Autorität von Paris bis Moskau, und nach der Wiederkehr von Elba läuft man der sozialen Autorität Napoleon bis Waterloo hinterher. Oder folgt den Anweisungen der Vorgesetzten. Oder folgt den Idolen.Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Kontrolle fällt schwer, sie steht rational gegen ein tiefes Gefühl und Bedürfnis. Das Vertrauen wächst immer neu aus der Kindheit, in der eine rationale Steuerung erst langsam, unendlich langsam gelernt werden und auch späterhin stets geübt werden muß. Ein zerbrechliches Unterfangen, stets vom Scheitern bedroht. Dabei wird es wohl bleiben.

Nachbemerkung: Das soziale Phänomen des VERTRAUENS wird zugänglich über die Soziobiologie. Erikson hat Interessantes zum Urvertrauen des Kindes beigesteuert, bekommt die "Kernkraft" als solche aber nicht in den Blick. Die Systemtheorie operiert mit SINN, symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien und Anschlußfähigkeit. VERTRAUEN, scheint mir, faßt Luhmann nicht, nur Erwartung.

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