Montag, 26. April 2010

Picasso, Stalin, Eisfeld oder wie das Leben so spielte: Der eine malte, der andere ließ erschießen, die dritten starben



Bild rechts: Picassos Stalin / osaarchivum.org/galeria/05031953/
Foto links: WD / Bildband der 'L'Humanité' von 1973 mit Picassos Plakat





1950 hatten die oppositionell gestimmten Schüler der Friedrich-Engels-Oberschule zusammengesessen,
1951 hatte Picasso sein Plakat für Stalins "Weltjugendtreffen" in Berlin gemalt (links),
1952 waren die jungen Männer erschossen worden und
1953 betrauerten Picasso (Bild rechts), Aragon und Joliot-Curie den Tod Stalins in der kommunistischen Wochenzeitung "Les Lettres francaises" (Wochenzeitung der KP Frankreich).

In einem Kommuniqué des Parteisekretariats der KP, das in der KP-Tageszeitung 'L'Humanité' veröffentlicht wurde, wurde Picassos Stalin-Portrait "kategorisch abgelehnt" wegen fehlender "realistischer Kunst" in dem Porträt. Das tat der Freundschaft aber keinen Abbruch, ein Bildband der 'L'Humanité' von 1973 (Bild links) zeigt weitere 145 Plakate und Zeichnungen, die Picasso bis 1966 für die 'L'Humanité', die Kommunistische Partei Frankreichs, die KPdSU und verbündete Organisationen und Zeitungen angefertigt hat.



- " Ein junger Mann wollte in der russisch besetzten Zone Flugblätter verteilen. Im fernen Moskau wurde er erschossen.
Von Helga Hirsch, FAZ 21.4.10

Heinz Eisfeld, so zeigte es der Dokumentarfilm, sei in Moskau mit zwei weiteren Angeklagten am 23. Oktober 1952 erschossen worden und somit eines gewaltsamen Todes gestorben. ...

Herbst 1950, sieben junge Männer von der Friedrich-Engels-Oberschule, und Heinz, ein politisch interessierter und tatkräftiger Kumpel, wollte eine Widerstandsgruppe ins Leben rufen. Sie wollten gegen die Einheitslisten bei den Wahlen protestieren, gegen die massiven Reparationslieferungen an die Sowjetunion, gegen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit. ...
Auch Frieder Wirth hielt es für ausgeschlossen, dass sie für Taten, die sie gar nicht begangen hatten, mit mehrjähriger Haft oder gar mit dem Tod bestraft werden könnten. Er wollte das Verfahren nicht ernstnehmen, obwohl ihm die Haftbedingungen zusetzten. Am schlimmsten, sagt Frieder Wirth, war die Einzelhaft: Wenn er nach mehrstündigen nächtlichen Verhören völlig zerschlagen in die Zelle zurückkehrte, aber gleich anschließend von sechs Uhr morgens bis 22 Uhr abends wach bleiben musste, sich nicht auf die Pritsche legen und kein Auge zudrücken durfte, sich auch mit niemandem unterhalten und mit nichts beschäftigen konnte. Es gab kein Buch, kein Papier, keinen Bleistift. Er lief nur, setzte mechanisch einen Fuß vor den anderen: fünf Schritte hin, fünf Schritte zurück. Und seine Gedanken drehten sich im Kreis. Was sollte er im Verhör sagen? Sollte er bestätigen, was die anderen angeblich schon zugegeben hatten? Oder gab er "ihnen" damit neues Material? Sollte er gänzlich schweigen, oder riskierte er damit, noch öfter des Nachts zum Verhör geholt zu werden und noch länger mit dem Gesicht zur Wand stehen und mit der Stirn ein Blatt festhalten zu müssen?

Schlimm, sagt Frieder Wirth, war es auch im Karzer: nur mit einer Unterhose bekleidet in einem Raum von etwa einem Quadratmeter, notgedrungen aufrecht stehend, auch wenn ihm eine gleißende Glühbirne direkt vor den Augen baumelte. Fußboden und Wände waren nass, jede Berührung ließ ihn noch mehr vor Kälte erstarren. Wie lange er so stehen musste? Woher soll er das wissen? Es waren Ewigkeiten am Rande der Ohnmacht. ...

Nach zwölf Wochen fand der Prozess statt: ein Geheimprozess mit drei Militärrichtern des Militärtribunals des Truppenteils Nr. 48240 aus Berlin-Lichtenberg, die anzureisen pflegten, wenn mit Todesstrafen zu rechnen war. Rechts und links an der Frontseite des "Gerichtssaals" die Porträts von Lenin und Stalin. Mit rotem Tuch bespannt die Wände, mit rotem Tuch überdeckt der lange Richtertisch, der von Posten mit Maschinenpistolen im Anschlag flankiert wurde. Gleichgültig, ob in der Haftanstalt am Demmlerplatz in Schwerin, in der Bautzener Straße in Dresden oder im "Roten Ochsen" in Halle - überall wurde dieselbe Kulisse aufgebaut, überall dasselbe Verfahren abgespult. Verteidiger waren genauso wenig zugelassen wie Entlastungszeugen, eine Berufung war nicht vorgesehen. ...

Urteilsverkündung: Heinz Eisfeld - Tod durch Erschießen. Frieder Wirth - Tod durch Erschießen. Heinz Baumbach - Tod durch Erschießen. Helmut Paichert - Tod durch Erschießen. Helmut Tisch, Ulrich Kilger und Hans Günter Aurich - 25 Jahre Freiheitsentzug im "Besserungsarbeitslager". ...
Heinz Eisfeld hingegen, sein guter Freund, der lebenslustige Kumpel, blieb zurück - und wurde zwei Tage später, einen Tag vor seinem 21. Geburtstag, erschossen.
Zwischen 1945 und 1955 sind 20 000 bis 25 000 Deutsche in sowjetische Gefängnisse und Straflager des GULag verbracht worden. Von etwa 3000 Todesurteilen wurden 2000 vollstreckt. Allein in der Butyrka befanden sich unter insgesamt 7000 Erschossenen 913 Deutsche. ...

Aufklärung durch die überlebenden Leidensgenossen seines Vaters.
Noch bis 1955 hatten sie ausharren müssen in den Kohleschächten von Workuta, wo der Winter drei Viertel des Jahres füllte, die Temperaturen auf minus 50 Grad fielen und bis minus 38 Grad über Tage gearbeitet werden musste. Sie hatten auf dem Appellhofplatz antreten müssen, um im März 1953 des verstorbenen großen Führers Stalin zu gedenken, dessen Terror bis in die DDR reichte. ..."
Helga Hirsch lebt als freie Publizistin in Berlin. FAZ 21.4.10

Keine Kommentare: