Dienstag, 28. September 2010

Wir war'n in de Kaygass in de Schull




Das Leben im Netz der Geschichte?




- Die Historiker tagen in Berlin.


"Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit

Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln;

Was ihr den Geist der Zeiten heißt,

Das ist im Grund der Herren eigner Geist,

In dem die Zeiten sich bespiegeln." –


Goethe, Faust I, Vers 575 ff.



Siehe Herodot bis Tacitus, Gibbons bis Rothfels, Golo Mann bis Wehler.



- Geschichte und Didaktik:

' "Desweiteren benutzt er", Hitler, "keine Fremdsprache, damit es auch Leute aus dem Bürgertum verstehen."

Beklagt wird von den Münsteraner Didaktikern, dass selbst die besten Abiturarbeiten wenig eigene Reflexion zeigen. Für das Gros der Texte sprechen die Autoren von der "unreflektierten Wiedergabe angelernter und sozial erwünschter Urteilspartikel". '
Warum Hitler keine Fremdsprache benutzte. Eine Untersuchung zur Frage, was Abiturienten nach drei Jahren Leistungskurs "Geschichte" können, Kaube FAZ 15.9.10 / Rez. : Schönemann, Bernd, Was können Abiturienten? - Zugleich ein Beitrag zur Debatte über Kompetenzen und Standards im Fach Geschichte

Den Geschichtsunterricht, das ist auch meine Erfahrung, kann man sich weitgehend sparen. Erst der Erwachsene kann mit viel Fleiß etwas von der Geschichte verstehen. Nicht sehr viel allerdings.

Goethe spannt einen ununterschreitbaren, gültigen Rahmen auf, der aber ein großes Gedächtnis verlangt:

"Wer nicht von dreitausend Jahren // Sich weiß Rechenschaft zu geben, // Bleib im Dunkeln unerfahren, // Mag von Tag zu Tage leben."
- Goethe, West-östlicher Divan , Buch des Unmuts

"Wer nicht weiß, was war, weiß nicht, was werden kann." (Minima moralia)
Das blödeste Zitat zur Geschichtsschreibung liefert, es verwundert nicht, Adorno. Golo Mann nannte ihn 1952 in einem Brief treffend ein "wichtigtuerisches Ekel".

Da hat Ortega schon mehr zu bieten:

" Wir werden aber sehen, daß es geboten ist, von der Vergangenheit, wenn auch keine positive Führung, so doch gewisse negative Ratschläge anzunehmen. Die Vergangenheit kann uns nicht sagen, was wir tun, wohl aber, was wir lassen müssen. "
José Ortega Y Gasset (1883-1955) : Aufstand der Massen, 1930 (dt. 1956, S. 33)

Wirklich? Waren Lenin, Stalin, Mussolini, Hitler, Mao etc. nicht geschichtsbelesen und haben sich dadurch eine Pfadabhängigkeit eingehandelt, die ihre neuen Irrtümer blutig steigerte?


" Die Frage aber, bis zu welchem Grade das Leben den Dienst der Historie überhaupt brauche, ist eine der höchsten Fragen und Sorgen in betreff der Gesundheit eines Menschen, eines Volkes, einer Kultur. Denn bei einem gewissen Übermaß derselben zerbröckelt und entartet das Leben, und zuletzt auch wieder, durch diese Entartung, selbst die Historie. "
Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen, Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, (Schlechta I, S. 219)

Wenn nach drei Jahren Leistungskurs 'Geschichte' ein Zentralbegriff der Moderne wie BÜRGER UND BÜRGERTUM gänzlich unbekannt sind, dann dürfte schon allerhand gebröckelt haben.

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