Samstag, 4. Dezember 2010

So tümlich






Senat und Volk von Rom an ihrem Platz in der Moderne
(Bild: Senatus Populusque Romanus, SPQR; Albtalkourtaki / Wiki.)



Niklas Luhmann: Die Zukunft der Demokratie
Je nachdem, welchen Begriff von Demokratie wir uns machen, sieht auch die Zukunft der Demokratie verschieden aus; und je nach der Zukunft sieht man dann auch in der Gegenwart schon Probleme, von denen man glaubt, daß andere sie nicht sehen oder sie nicht ernst genug nehmen. Wenn es bei Demokratie um Vernunft und Freiheit, um Emanzipation aus gesellschaftlich bedingter Unmündigkeit, um Hunger und Not, um politische, rassistische, sexistische und religiöse Unterdrückung, um Frieden und um säkulares Glück jeder Art geht, dann sieht es in der Tat schlimm aus. Und zwar so schlimm, daß die Wahrscheinlichkeit groß ist, daß alles, was man dagegen tut, die Verhältnisse nur noch verschlimmert. Darüber zu reden möchte ich anderen überlassen.
Selbst bei einem engeren Begriff von Demokratie sind aber noch Eingrenzungsentscheidungen zu treffen, wenn man Boden unter die Füße bekommen will. Und auch hier gilt es, Unmöglichkeiten oder Extremunwahrscheinlichkeiten aus dem Begriff auszuschließen. Demokratie ist nicht:

1. Herrschaft des Volkes über das Volk. Sie ist nicht kurzentschlossene Selbstreferenz im Begriff der Herrschaft. Sie ist also nicht: Aufhebung von Herrschaft, Annullierung von Macht durch Macht. In einer herrschaftstheoretisch fixierten Sprache ist dies die einzige Möglichkeit, Selbstreferenz auszudrücken; und das dürfte auch der Grund sein, weshalb das Wort Demokratie' überlebt hat. Theoretisch aber ist die Annahme, daß das Volk sich selbst beherrschen könne, unbrauchbar.
Demokratie ist auch nicht:

"2. ein Prinzip, nach dem alle Entscheidungen partizipabel gemacht werden müssen; denn das würde heißen: alle Entscheidungen in Entscheidungen über Entscheidungen aufzulösen. Die Folge wäre eine ins Endlose gehende Vermehrung der Entscheidungslasten, eine riesige Teledemobürokratisierung und eine letzte Intransparenz der Machtverhältnisse mit Begünstigung der Insider, die genau dies durchschauen und in diesem trüben Wasser sehen und schwimmen können." Insbesondere die schöne Neubildung "Teledemobürokratisierung" scheint mir anzuzeigen, wie gut Luh. geeignet ist, das Geschehen um den veralteten Stuttgarter Kopfbahnhof zu erfassen.
" Wenn wir noch im 21. Jahrh. in Begriffen wie Natur, Mensch, Moral und Vernunft sprechen, verlieren wir den 'Sinn' des Ganzen. " (N. Luh., Intervista siciliana, Archimedes und wir, S. 59)
Hier hätte Luh. auch noch die Wortleerstelle "Volk" hinzufügen sollen, wie schon vielfach latent geschehen:

" Kurz: es geht für die Politik turbulent zu, und eben deshalb kann sie nur noch als geschlossenes, ich sage gern: autopoietisches System operieren, das dann sich selbst auf Kontingenz codieren und programmieren muß. Die dazu passende strukturelle Erfindung hat aus historisch-zufälligen Gründen den Namen Demokratie bekommen ".
(Aus: Niklas Luhmann, Die Zukunft der Demokratie. In: Der Traum der Vernunft. Vom Elend der Aufklärung. S. 210-211)

Die Gesellschaft ist nicht mehr in Schichten gegliedert, sondern Funktionssysteme arbeiten horizontal nebeneinander und haben ihre Umwelten. Zusammenrottungen von Reiserandalierern, verrenteten 68ern, Klamaukfreunden und Ökofanatikern inbegriffen.
Senatus Populusque Romanus: da wurde anders agiert. Vorbei. Auch das nationale Aufblasen einer Bevölkerung zu einem "Volk": passé . Vom Klassenkrampf zu schweigen.

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