Mittwoch, 28. März 2012

Emos aus dem Internet




Karl May als Kara Ben Nemsi
(Bild: Wiki.)



Ich habe bei Orientalisten immer wieder den Eindruck, daß sie sich nach der Lektüre der Kara-Ben-Nemsi-Romane Karl Mays zum Studium der Arabistik entschlossen haben und die jugendliche Karl-May-Erfahrung bei ihnen lebenslang anhält. Bei Rainer Hermann geht es mir so, der gerade wieder “Das arabische Erwachen” in der FAZ beschwor (27.3.12). Hatten wir das arabische Erwachen nicht schon im Kairo der 1920er Jahre? Und dann wieder bei Nasser und Ben Bella? Die Perser nicht zu vergessen, die mit ihrer Revolution gegen den Schah einen nachhaltigen Eindruck machen. Die Islamisten haben sich durchaus verändert, seit Sayyid Qutb die Muslimbrüderschaft ideologisch fundierte. Vor allem sind es immer mehr Islamisten geworden. Sie finden auch einen “Modus vivendi”, wie Hermann meint, “gleichzeitig ein gläubiger Muslim und ein glaubwürdiger Demokrat zu sein”. Das kann man ja in Tunesien sehen, das Hermann zu “Arabiens neuem Musterländle” erklärt und wo die Regierungssalafisten Brandfront gegen unsalafistische Medien machen und “unzüchtig” gekleidete Frauen tätlich angreifen. Man kann es auch im Irak sehen, wo die arabische Demokratie am weitesten ist:
“In der arabischen Welt rebelliert die Jugend gegen die Despoten. Im demokratischen Irak schränkt die Regierung die Freiheitsrechte ein. Jüngstes Opfer sind sogenannte Emo-Jugendliche.

Jeden Morgen geht Fadhel Jatti durch die Hörsäle und hält Ausschau nach Studentinnen und Studenten in engen Jeans und sogenannten Emo-Shirts. Als Leiter der TV-Abteilung des Medien-Colleges an der Universität von Bagdad hätte Jatti eigentlich Wichtigeres zu tun. Aber Befehl sei Befehl, sagt Jatti. Die irakische Regierung hat in den letzten Wochen die Eliminierung des Phänomens der Emos angeordnet. Eine Reihe von ungeklärten Morden hat seitdem eine Schockwelle unter Jugendlichen, aber auch unter Homosexuellen und säkular gesinnten Irakern ausgelöst.
«Gefahr für die Gesellschaft»

Wie viele Morde es gegeben hat, liegt im Dunkeln. Irakische Fernsehsender, die der Regierung kritisch gegenüberstehen, berichteten von jungen Männern im Emo-Look, denen mit Zementblöcken der Schädel eingeschlagen worden sei. Die Regierung bestreitet, dass es überhaupt Morde an Emos oder Homosexuellen gegeben hat. …” (Inga Rogg, Bagdad, Verbissener Kulturkampf im Irak, NZZ 17.3.12)
Hermann spricht auch nur von der “Demokratie”. Das ist eine Wortfalle. Die repräsentative Demokratie wiegt wenig ohne ihr europäisch-historisches Fundament, die individuellen Freiheitsrechte. Auf die kommt es an.
Wie lebte der einzelne Bürger unter der Diktatur des Schah und wie lebt er heute in der islamistischen Teheraner Demokratie? Ein Sturz in den Abgrund. Auch die ‘Lee-Familien-Demokratie’ in Singapur ist in dieser Hinsicht studierenswert. Ohne eine Muster-Demokratie zu sein katapultierte Lee Kuan Yew seit 1959 sein Ländchen aus der Massenarbeitslosigkeit arabischen Ausmaßes erst in ein Industrieland, dann in eine wohlhabende Dienstleistungsgesellschaft mit beträchtlichen individuellen Freiheitsrechten. Auf die kommt es an, verbunden mit geringer Arbeitslosigkeit.
Orientalisten vom Schlage Rainer Hermann sollten vielleicht zur Karl-May-Lektüre zurückkehren.

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