Mittwoch, 11. Juni 2014

Weiteres siehe Popper, Logik der Forschung









Aus einer Korrespondenz:

Was aber den Begründer des Kritischen Rationalismus angeht, so verkennen Sie seine erkenntnistheoretischen Absichten. Popper warnt gerade vor der Wissenschafts- und Theoriegläubigkeit des „Szientismus“ und plädiert für empirische Überprüfbarkeit aller Aussagen. Auch Theorien müssen bereits auf Überprüfbarkeit hin formuliert sein, wollen sie als wissenschaftlich gelten. Deswegen bestreitet Popper etwa der Psychoanalyse Freuds den wissenschaftlichen Status.
Hier der Anfang eines Interviews mit Popper, in dem das Erkenntnisproblem eingangs allgemein behandelt wird:
Die Wege der Wahrheit
Zum Tode von Karl Popper
aus: Aufklärung und Kritik 2/1994 (S. 38 ff.)
Dieses Interview gab Sir Karl Popper im Februar 1982 der französischen Wochenzeitschrift L�Express. Aus aktuellem Anlaß drucken wir es hier mit freundlicher Genehmigung dieser Zeitschrift ab.
Sir Karl Popper: Als Einleitung zu dieser Unterhaltung möchte ich gerne zunächst die wesentlichste Idee unterstreichen, nämlich:
Ich weiß nichts, wir wissen nichts. Unser bestes Wissen verdanken wir der Wissenschaft. Das zu betonen ist wichtig in einer Zeit, in der von überall Angriffe auf die Wissenschaft geführt werden. Aber selbst die wissenschaftliche Erkenntnis ist nur eine auf Vermutungen beruhende, eine hypothetische Erkenntnis. Sie ist also nicht wirklich eine Erkenntnis in dem Sinne, wie die Leute es im allgemeinen verstehen, wenn sie versichern: Ich weiß... Außerdem finden sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse verstreut hier und dort, in Büchern, in Laboratorien, im engsten Kreis von Forscherteams. Niemand kann vorgeben, auch nur ein Tausendstel von einer Wissenschaft wie der Physik oder der Biologie zu kennen. Niemand kann also dieses schon nur hypothetische Wissen vollständig besitzen; wir besitzen davon nur Teile, vom Hörensagen.
L�Express: Warum behaupten Sie dann aber, die wissenschaftliche Erkenntnis sei nichtsdestoweniger die beste, über die wir verfügen?
Popper: Viele wichtige Ideen sind nicht überprüfbar. Die wissenschaftlichen Theorien dagegen sind es, d.h. wir können versuchen, sie zu widerlegen. Wenn diese Versuche ausgeklügelt genug sind, können sie schließlich zwar nicht zeigen, daß die Theorie wahr ist, denn das ist unmöglich, wohl aber, daß sie wirklich ein Element der Wahrheit enthält. Durch einen solchen Vergleich der geozentrischen mit der heliozentrischen Theorie hat Poincard gezeigt, daß alle möglichen Phänomene, die unseren Planeten und unser Sonnensystem betreffen, nur erklärt werden können, wenn man die Idee zugrunde legt, daß die Erde um die Sonne kreist. Aber seltsamerweise hat er in seinem Buch "Der Wert der Wissenschaft" nicht die Tatsache betont, daß die heliozentrische Theorie trotz ihrer großen Erklärungskraft nicht wahr ist. Sie kommt nur der Wahrheit näher. Die Sonne ist weder das Zentrum des Universums noch das der Milchstraße, sie ist nicht einmal das Zentrum unserer Galaxie.
L�Express: Ist es also ganz einfach die Überprüfbarkeit der Wissenschaft, die ihr auf dem Gebiet der Erkenntnis ihre Überlegenheit gibt?
Popper: Eine Theorie zu überprüfen, das bedeutet immer, daß man versucht, ihren schwachen Punkt zu finden, den Punkt, der uns veranlassen kann zu denken, daß sie dort falsch sein könnte. Das erlaubt schon, viele Theorien auszuschließen. Damit eine Theorie wissenschaftlich ist, muß sie überprüfbar sein, d.h. sie muß sich der Kritik und der Widerlegung aussetzen. Da viele versuchen, die Theorie zu kritisieren und zu widerlegen und sogar ihre ganze Intelligenz daran setzen, um deren schwachen Punkte zu entdecken, können wir sagen, daß die wissenschaftlichen Theorien das beste sind, was wir auf dem Gebiet der Erkenntnis besitzen.
L�Express: Heißt das, daß Sie den Szientismus, die Wissenschaftsgläubigkeit, verwerfen?
Popper: Der Szientismus zeichnet sich vor allem durch den Glauben an die Wissenschaft aus. Diejenigen, die der Wissenschaftsgläubigkeit anhängen, sind keine Wissenschaftler. Der wahre Wissenschaftler darf an seine eigene Theorie nicht glauben. Er muß ihr gegenüber eine kritische Haltung einnehmen, er muß wissen, daß jeder sich irren kann und daß infolgedessen seine Theorie irrig sein kann. Deshalb gibt es in Wirklichkeit einen Gegensatz zwischen der Wissenschaft und der Wissenschaftsgläubigkeit. Ein Szientist zusein, das bedeutet, daß man die Wissenschaft nicht versteht.
L�Express: Welche Schlußfolgerungen ziehen Sie aus der Feststellung unserer Unwissenheit?
Popper: Sie ist von allergrößter Bedeutung, denn sie führt zu einer neuen Ethik, die sich auf die Anerkenntnis der Tatsache gründet, daß es keine geheiligte, allerhöchste Autorität gibt und daß wir nicht aufhören, Fehler zu machen. Sicherlich haben wir die Pflicht, unser Bestes zu tun, um sie zu vermeiden. Aber da wir alle so sind, wie wir sind, Ärzte, Ingenieure, Architekten, Stadtplaner, Politiker, machen wir alle ständig schwere Fehler. In ethischer Hinsicht ist es von grundlegender Bedeutung, sich dessen bewußt zu sein, daß wir alles in unserer Macht stehende tun müssen, um Fehler zu vermeiden, aber daß wir ihnen nicht entrinnen können. Dieses Bewußtsein führt zu einer antiautoritären und antitotalitären Haltung, einer Haltung, in der wir die Hilfe eines anderen suchen müssen und ihn einladen, unsere Vorschläge zu kritisieren. In anderen Worten: diese Haltung fuhrt zu einer Zusammenarbeit mit anderen auf der Basis der Gleichheit. Sie ist also die eigentliche Grundlage der Demokratie. Diese Idee der Toleranz, die auf unserer Unwissenheit beruht, war schon eine Idee Voltaires. Wir müssen sie wieder zum Leben erwecken. Wir müssen zu Voltaire zurückkehren oder zu Sokrates. ...“


Weiteres siehe Popper, Logik der Forschung.

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