Donnerstag, 21. April 2016

Das Maß zählt, auch bei Maas


“Klären wir auf, statt Bilder zu stürmen!” Das hätte auch Settembrini in Thomas Manns “Zauberberg” sagen können. Im "Tod in Venedig" läßt Mann die Triebe, alias das Dionysische, siegen über die apollinische Vernunft. Beides hatte er von Nietzsche übernommen.
Im späteren “Zauberberg” von 1924 treten die Antagonisten Leo Naphta und Lodovico Settembrini gegeneinander an. Der Ex-Jesuit und Altphilologe Naphta verabscheut die “Satansherrschaft des Geldes”, er befürwortet die “staats- und klassenlose Gotteskindschaft”. Der Gedanke an Materialismus und Fortschritt läßt ihn erschauern. Da ist die Romantik nicht weit.
Demgegenüber steht der Freimaurer und pädagogisch inspirierte Settembrini für den Glauben an den Menschheitsfortschritt und die Aufklärung. Mann zeichnete ihn etwas geistig beengt, immer wieder läßt sich der Freimaurer von dem geistreichen Naphta provozieren mit feiner Dialektik:
“Unter anderem sprach er von der Romantik und dem faszinierenden Doppelsinn dieser europäischen Bewegung vom Anfang des 19. Jahrhunderts, vor der die Begriffe der Reaktion und der Revolution zunichte würden, sofern sie sich nicht zu einem höheren vereinigten. Denn es sei selbstverständlich höchst lächerlich, den Begriff des Revolutionären ausschließlich mit dem Fortschritt und der siegreich anrennenden Aufklärung verbinden zu wollen. Die europäische Romantik sei vor allem eine Freiheitsbewegung gewesen: antiklassizistisch, antiakademisch, gerichtet gegen den altfranzösischen Geschmack, gegen die Alte Schule der Vernunft, deren Verteidiger sie als gepuderte Perückenköpfe verhöhnt habe.” (S. 734f., Fischer-TB)
So kommt es denn endlich zum Duell zwischen dem romantischkatholischen Naphta und dem fortschrittsgläubigen Freimaurer Settembrini, in dem letzterer sich verweigert und in die Luft schießt, während Naphta ihn einen Feigling nennt und sich - seiner Lebenshaltung Substanz verleihend - in den Kopf schießt. Hier erscheint die Handlung direkt mit der romantischen Todesnähe verknüpft. Leitmotivisch setzt Th. Mann im ganzen Roman Schuberts bzw. Müllers “Lindenbaum” ein und in diesem Sinne ‘erlöst’ sich Naphta selbst. Hans Castorp aber, der Held des Romans, und Settembrini ziehen in ein anderes Duell, das von 1914, in dem sie wahrscheinlich umkommen.


Wie weit man Th. Mann in dieser ‘romantisierenden’ Deutung des WKI folgen will, bleibt jedem Leser selbst überlassen. Mit Christopher Clarks Monographie “Die Schlafwandler” paßt sie nicht sehr gut zusammen, doch lassen sich romantische Anklänge in akademischen Diskursen finden, sogar bis hin zu Freud und seiner Erfindung des “Todestriebs”. Freud selbst erscheint 1914 als ein anderer Hans Castorp in dieser Bemerkung:
“Ich fühle mich aber vielleicht zum ersten Mal seit dreißig Jahren als Österreicher und möchte es noch einmal mit diesem wenig hoffnungsvollen Reich versuchen.” Und an anderer Stelle: “Meine ganze Libido gehört Österreich-Ungarn.”
(zitiert bei Clark, Schlafwandler, S. 602)
Freud schrieb dies in einem Brief an Karl Abraham am 26.7.14 in Karlsbad.

Freud kommt im “Zauberberg” als Krokowski vor; er verstand sich als der ganz große Aufklärer. Da muß man aufpassen. Es gibt ein Übermaß an Aufklärungsgeist.



















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