Freitag, 27. Dezember 2019

Hebamme Sprache


Worüber man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen. War das eine tiefgründige Weisheit, mit der Wittgenstein seinen „Traktatus“ beschloß? 
Wohl eher nicht. Aber jedenfalls ist die Sprache ein Kommunikationsmittel, das die menschliche Kulturentwicklung ermöglicht und vorangetrieben hat, insbesondere auch die einzigartig potente Form der Schriftsprache, die das Gedächtnis der Menschheit ermöglichte. Hieroglyphen und Keilschrift geben erste Hinweise auf die Kulturgeschichte, die mit der Eindeutigkeit und Vereinfachung des altgriechischen Alphabets die Schatzkammer der antiken griechischen Texte von Archimedes bis Zenon füllte. Die Rückbesinnung auf die griechisch-römische Antike in der Renaissance setzte Impulse für die Überwindung des dunklen Mittelalters und seiner geistigen Erstarrung im Christentum. Von da an ging’s bergauf, und die geistige Elite kommunizierte europaweit neue Erkenntnisse in Anatomie, Pharmazie und Zahnheilkunde. Ganz worauf Kant mit seiner Vorstellung von der Selbstaufklärung des Publikums zielte. Kleist widmete der Hebammenfunktion des Sprechens seinen kleinen Aufsatz „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden”. Das Sprechen über einen Gegenstand aktiviert die angesprochenen Hirnzellen und -Bahnen, so daß sich das Gedächtnis öffnet und zweckdienliche Worte, Wörter und Begriffe freigibt. In diesem Sinne verfehlt Wittgenstein im Vorwort seiner Logisch-philosophischen Abhandlung (Traktatus) völlig die Möglichkeiten des Sprechens, wenn er schreibt: 
„Man könnte den ganzen Sinn des Buches etwa in die Worte fassen: Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muß man schweigen.“
Etwas klar zu sagen, gelingt meist nicht, aber hirnliche Vorformen von Wörtern und Begriffen im denkenden Gehirn nähern sich im Verlauf der Ausdrucksform der Sprache. Und können dann sinnvolle Sätze bilden wie: Die Grenzen meiner Sprache bedeuten nicht die Grenzen meiner Welt. 
















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