“Um darüber hinauszukommen, wird man den Begriff des Wissens radikal entanthropologisieren und die Zurechnung auf den Menschen (also auf eine Einheit, wie immer kollektivsingularisiert) ersetzen müssen durch Unterscheidungen wie Bewußtsein/Kommunikation oder Operation/Beobachtung. Selbstverständlich wird damit nicht bestritten, daß das Gehirn des Menschen laufend Konsistenzprüfungen durchführt, die einem Beobachter pauschal als Gedächtnis erscheinen mögen. Auch das Bewußtsein kann selbstverständlich Erinnerungen aktualisieren und sie sich als eigenes Wissen präsentieren. Weder im Gehirn noch im Bewußtsein gibt es jedoch etwas, was man sinnvoll als ‘gespeichertes’, irgendwie inaktuelles, aber doch ‘vorhandenes’ Wissen bezeichnen könnte.” Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, 1990, S. 62 Den lieb’ ich mir, der so etwas ausheckt! Haben wir nicht alle ein Gedächtnis, in dem sich jahrzehntelang Wissen angesammelt hat, biographisches Wissen und allgemeines? Sagt uns das nicht auch die Hirnforschung, die verschiedene Gedächtnisformen unterscheidet? Gut, bisher hat man keine Kammern oder Festplatten gefunden, von denen sich behaupten ließe, darin befänden sich die Wissensinhalte. Aber festgestellt wurde doch, daß bei einer Zerstörung von bestimmten Hirnzellenarealen nichts mehr erinnert wird, oder nur noch das, was vor dem Zelltod stattfand, und danach kein neues Material mehr Eingang findet. Ist das nicht “eigenes Wissen”, auf das Bewußtseinsoperationen zugreifen können? Es kann doch einen Eintrag DIHYDROGENMONOXID geben, oder auch nicht, er kann tatsächlich fehlen. Beim Prüfungswissen wird das negativ bewertet. Allerdings erfolgt die Speicherung nicht in einer Kammer oder dergleichen, sondern ist repräsentiert in Erregungsmustern von Zellen. Das ist ein konstruktiver Vorgang und wird durch immer neue Kommunikationen, deren Infomationen hinzutreten, schwach oder stark beeinflußt. (Vgl. Morgenstern, Die unmögliche Tatsache) Je komplexer Wissenssachverhalte sind, so könnte man Luhmann hier verstehen, desto stärker wiegen die extraindividuell bezogenen Inhalte/Unterscheidungen.
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“Um darüber hinauszukommen, wird man den Begriff des Wissens radikal entanthropologisieren und die Zurechnung auf den Menschen (also auf eine Einheit, wie immer kollektivsingularisiert) ersetzen müssen durch Unterscheidungen wie Bewußtsein/Kommunikation oder Operation/Beobachtung. Selbstverständlich wird damit nicht bestritten, daß das Gehirn des Menschen laufend Konsistenzprüfungen durchführt, die einem Beobachter pauschal als Gedächtnis erscheinen mögen. Auch das Bewußtsein kann selbstverständlich Erinnerungen aktualisieren und sie sich als eigenes Wissen präsentieren. Weder im Gehirn noch im Bewußtsein gibt es jedoch etwas, was man sinnvoll als ‘gespeichertes’, irgendwie inaktuelles, aber doch ‘vorhandenes’ Wissen bezeichnen könnte.”
Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, 1990, S. 62
Den lieb’ ich mir, der so etwas ausheckt! Haben wir nicht alle ein Gedächtnis, in dem sich jahrzehntelang Wissen angesammelt hat, biographisches Wissen und allgemeines? Sagt uns das nicht auch die Hirnforschung, die verschiedene Gedächtnisformen unterscheidet?
Gut, bisher hat man keine Kammern oder Festplatten gefunden, von denen sich behaupten ließe, darin befänden sich die Wissensinhalte. Aber festgestellt wurde doch, daß bei einer Zerstörung von bestimmten Hirnzellenarealen nichts mehr erinnert wird, oder nur noch das, was vor dem Zelltod stattfand, und danach kein neues Material mehr Eingang findet.
Ist das nicht “eigenes Wissen”, auf das Bewußtseinsoperationen zugreifen können? Es kann doch einen Eintrag DIHYDROGENMONOXID geben, oder auch nicht, er kann tatsächlich fehlen. Beim Prüfungswissen wird das negativ bewertet. Allerdings erfolgt die Speicherung nicht in einer Kammer oder dergleichen, sondern ist repräsentiert in Erregungsmustern von Zellen. Das ist ein konstruktiver Vorgang und wird durch immer neue Kommunikationen, deren Infomationen hinzutreten, schwach oder stark beeinflußt. (Vgl. Morgenstern, Die unmögliche Tatsache)
Je komplexer Wissenssachverhalte sind, so könnte man Luhmann hier verstehen, desto stärker wiegen die extraindividuell bezogenen Inhalte/Unterscheidungen.
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