“Die Grundform europäischer Familienverfassung ist nicht der Abstammungsverband, sondern die Hausgemeinschaft. Die Mitglieder dieser Hausgemeinschaft müssen untereinander nicht notwendig durch Abstammung oder Heirat verwandt sein. Das macht dieses System so flexibel und an veränderte Verhältnisse anpassungsfähig. Es waren vor allem Bedürfnisse der Arbeitsorganisation, die in der europäischen Geschichte zu spezialisierten Formen von Haus- und Haushaltsgemeinschaften geführt haben - in der Landwirtschaft, im gewerblich-industriellen Bereich. … Und auch über den Rahmen der Hausgemeinschaft hinaus haben die gelockerten Abstammungsbeziehungen es möglich gemacht, starke Sozialbeziehungen zu nicht verwandten Personen aufzubauen.” (Mitterauer, Warum Europa? S. 107)
Das ist ein Punkt, der sonst kaum angesprochen wird, aber bis heute eine große Rolle spielt. Kann man die römischen Mit-Kaiser hier einordnen? Nur teilweise, soweit sie nicht Söhne waren wie bei Marc Aurel, mit dem Beinamen “Philosoph auf dem Kaiserthron”. Marc Aurel erkannte die Nichtsnutzigkeit seines Sohnes Commodus, machte ihn aber trotzdem zum Mit-Kaiser und Nachfolger. Außerhalb des Abstammungsprinzips konnte er nicht denken. Später, im west- und im ostfränkischen Bereich - beide christianisiert, beide mit der gleichen Agrarverfassung und mit Lehnswesen - entwickelte sich die politische Herrschaft und die politische Landesgliederung sehr unterschiedlich. In Frankreich entstand eine zentralistische absolute Monarchie, in Deutschland ein tausendgliedriges dezentrales Wahlkönigtum. Einzelne Elemente wie das Lehnswesen und die damit verbundene Hausgemeinschaft haben ihre Wirkungsgrenzen.
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