Sonntag, 24. Oktober 2021

Werte gibt es nicht einzeln

 “Tyrannei der Werte? Herausforderungen und Grundlagen einer europäischen Dogmatik systemischer Defizite

Armin von Bogdandy (Prof. Dr., Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg.) 

Abstract 

Seit 2007 sollen die europäischen Werte die Grundlage des europäischen Hauses bilden und eine neue Quelle von Legitimität und Stabilität vermitteln. Schritte, diese Werte durchzusetzen, treffen aber auf den Einwand einer “Tyrannei der Werte”. Der erste Schritt erörtert die verfassungsrechtliche Frage, ob und warum die Union gleichwohl eingreifen sollte. Der zweite entfaltet den Ausdruck systemisches Defizit als rechtlichen Schlüsselbegriff des Feldes und Angelpunkt eskalationsträchtiger Kommunikation. Es bedarf Instrumente, die abgestimmt, effektiv und zugleich möglichst legitim sind. Zu diesem Zweck entwickelt der dritte Schritt einen gemeinsamen Rechtsrahmen für einschlägige Instrumente, bestehend aus den Bausteinen Rechtsgrundlage, Verfahren, Maßstab und Kontrolle. 


I. Dogmatik im Neuland der Werte 

2007 adelt der Lissaboner Vertragsgeber die Grundsätze des Vertrags über die Europäische Union als europäische Werte. Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, Wahrung der Menschenrechte verlassen damit das Reich des “nur” Juristischen. Der Vertragsgeber postuliert sie als tatsächliche normative Orientierungen, die höchst wertvoll, weithin geteilt, tief verankert sind und damit die eigentliche Grundlage des gemeinsamen europäischen Hauses bilden. Diese Gründung jenseits der mitgliedstaatlichen Ratifikationen soll wohl eine neue Quelle von Legitimität und Stabilität vermitteln. Heute jedoch verschärft der Schritt von Lissabon die Krisenwahrnehmung: Erscheinen tragende Werte als schwach oder umstritten, so kann dies leicht das ganze Haus erschüttern. Der Weg in die Werteunion erweist sich als nicht weniger risikoreich denn der in die Währungsunion. Der europäische Wertediskurs ist von einem Selbstversicherungsdiskurs in einen Krisendiskurs mutiert. Ihn befeuern derzeit insbesondere Maßnahmen, mit denen Regierungen kontrollierende Institutionen modifizieren und dabei, so die Sorge, kritisch schwächen. …”


Zu dieser Wertelyrik fällt zunächst Goethes Wort ein:

“Gesetzgeber oder Revolutionärs, die Gleichsein und Freiheit zugleich versprechen, sind Phantasten oder Charlatans.”

Goethe, Maximen und Reflexionen, Nr. 953  


Wertorientierungen stehen nicht für sich allein, sie stehen in Widerspruch zu anderen Wertorientierungen. Sie legen nichts fest. “Denn immer, wenn man es mit Entscheidungen zu tun hat, hat man es auch mit mehr als einem Wert zu tun; und zwar nicht nur nicht nur mit dem Gegenwert (also im Falle von Frieden mit Krieg oder im Falle von Gleichheit mit Ungleichheit), sondern mit qualitativ anderen Werten - im Falle von Frieden also zum Beispiel mit nationaler Selbstbestimmung oder im Falle von Gleichheit mit Freiheit.”*

Dient die Wertelyrik der EU propagandistischen Zwecken? England wurde von der EU herausgeekelt mit dem Pochen auf dem Vorrang von EU-Kommissionssicht. London sollte sich der Brüsseler Gerichtsbarkeit unterwerfen, gerade das, was Brüssel auch wieder von Ungarn und Polen verlangt. Das ungeregelte Eindringen von europafremden Migranten wird von Brüssel falsch ausgeflaggt als Asylrecht und Menschenrecht, wogegen sich nicht nur Ungarn und Polen wehren unter Hinweis auf die bereits stattfindende islamistische Unterwanderung Frankreichs. Brüssel dekonstruiert  durch die Unterstützung der ungeregelten Nahosteinwanderung den Europagedanken. 


*Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, S. 178


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