Sonntag, 7. August 2022

Idylle und Geschichte

 Theodor Storm (1817-1888):

Abseits


Es ist so still; die Heide liegt

Im warmen Mittagssonnenstrahle,

Ein rosenroter Schimmer fliegt

Um ihre alten Gräbermale;

Die Kräuter blühn; der Heideduft

Steigt in die blaue Sommerluft.


Laufkäfer hasten durchs Gesträuch

In ihren goldnen Panzerröckchen,

Die Bienen hängen Zweig um Zweig

Sich an der Edelheide Glöckchen;

Die Vögel schwirren aus dem Kraut -

Die Luft ist voller Lerchenlaut.


Ein halb verfallen niedrig Haus

Steht einsam hier und sonnbeschienen;

Der Kätner lehnt zur Tür hinaus,

Behaglich blinzelnd nach den Bienen;

Sein Junge auf dem Stein davor

Schnitzt Pfeifen sich aus Kälberrohr.


Kaum zittert durch die Mittagsruh

Ein Schlag der Dorfuhr, der entfernten;

Dem Alten fällt die Wimper zu,

Er träumt von seinen Honigernten.

- Kein Klang der aufgeregten Zeit

Drang noch in diese Einsamkeit.


Wir können uns das vorstellen, in der Lüneburger Heide, in der Teltower Heide, am Niederrhein, auf der Schwäbischen Alb - vor gut hundert Jahren, ohne Autoverkehr, ohne Touristen. Es war ein anderes Leben. In manchem ruhiger und besser, in vielem schlechter. Wie’s so geht. Die Menschen machen ihre Geschichte nicht selbst, die Geschichte ereignet sich, sie erzeugt sich aus zahllosen Einzelwillen und noch mehr Zufällen und Dummheiten.


Keine Kommentare: