Sonntag, 2. Mai 2021

Praktische Geometrie

 “Bei Landvergaben in großen Stil war die Anzahl der Hufen notwendigerweise kaum mehr als ein Annäherungswert, denn es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß der großpolnische Herzog Wladislav Odonicz im Jahre 1224, als er dem Deutschen Orden 500 Hufen Land übereignete, oder auch 1233, als er den Zisterziensern Landstriche von schätzungsweise 2000 oder 3000 Hufen vermachte, die Fläche vorher exakt hatte vermessen lassen - denn 3000 Hufen entsprechen immerhin knapp 500 Quadratkilometern.”*

Vermessen wurde dann bei den neuen Dörfern und Hofstellen, mit Meßschnüren, wie sie schon in antiken Texten verwendet werden. 

Bei Rousseau liest sich das so:

Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen „Dies gehört mir“ und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: „Hütet euch, dem Betrüger Glauben zu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört“. (Jean‐Jacques Rousseau: Diskurs über die Ungleichheit (Ed. Meier). UTB, 2008, S. 173)

Nur die Feuilletonisten nehmen das bis heute ernst. So etwas endet dann in der sozialistischen Diktatur.


*Bartlett, “Die Geburt Europas aus dem Geist der Gewalt”, S. 172f.


Freitag, 30. April 2021

Freiheit und Sozialstaat

“Es gibt ein einfaches, aber prägnantes Wort, mit dem sich alle hier erörterten Siedlerrechte und -privilegien zusammenfassen lassen: Freiheit. Die Siedler, welche der Johanniterorden auf seinen mährischen Gütern im frühen 13. Jahrhundert ansiedeln durfte, sollten ‘in allem … gesicherte Freiheit und beständiges und festes Recht’ (securam libertatem, ius stabile et firmum) haben. Christliche Einwanderer im wiedereroberten Ebro-Tal sollten als ‘frei und freigeboren’ gelten (franci et ingenui), und ihr Land sollten sie ‘francum et liberum et ingeniuum et securum’ besitzen. Diese Freiheit war nicht an Rasse- oder Standesgrenzen gebunden: ‘Die dort angesiedelten Leute jeden Standes und jeder Sprache sollen nach ein und derselben Freiheit leben und arbeiten’, dekretierte der ungarische König Bela IV. für die neuen Siedler in Beregowo (in der Theißebene).”*

Ohne Sozialstaat war viel Freiheit möglich, denn wer im Mittelalter aufbrach, um in einem neuen Land völlig von vorne anzufangen, wer die großen Anstrengungen der Waldrodung in Siebenbürgen oder der Trockenlegung großer Sumpfgebiete im Oderbruch und die Urbarmachung des Bodens nicht scheute, um auf freiem eigenem Grund und Boden zu stehen, der war kein Abstauber und Trittbrettfahrer, wie dies heute überwiegend bei der Einwanderung in die Sozialstaaten unterstellt werden kann. 


*Bartlett, “Die Geburt Europas aus dem Geist der Gewalt”, S. 163f.


Donnerstag, 29. April 2021

VILLA FRANCA, FREIES DORF

Graf Roger, der Bruder des normannischen Abenteurers und Eroberers Robert Guiskard, machte es anders als sein Bruder. Der setzte stets Gewalt ein und siedelte ganze Dörfer in neu eroberte Gebiete um. Roger hatte Malta erobert, das wiederum 870 von den Arabern erobert wurde. Es gehörte zuvor zum byzantinischen Reich. Den Besiegten bot Roger an, in Sizilien ohne Abgaben in einer Villa Franca zu siedeln, denn er brauchte Siedler. Das war das Problem im ganzen Frankenreich: die Herren besaßen viel Land, aber keine Bauern zur Urbarmachung und Kultivierung. Die Gebietsherren standen im Wettbewerb um Leibeigene, aber deren Mobilität war durch ihren Status blockiert. Die Betonköpfe verschärften nun diesen Status, während die anderen - wie Roger Guiskard - Verlockungen erfanden. Ebenso verfuhren andere Gebietsherren wie etwa der Magdeburger Erzbischof Wichmann, dem die wirtschaftliche Entwicklung seine Diozöse ein großes Anliegen war. Ein “diese Wirtschaft tötet” wäre nicht über seine Lippen gekommen, im Gegenteil, er warb auch flämische Siedler an, nachdem er mit Albrecht dem Bären Brandenburg von den Wenden erobert hatte. 1159 befreite er in Großwusteritz an der Havel die Flamen vom Burgwerk-Dienst. Flamen hatte Wichmann vorher als Bischof in Naumburg kennengelernt, die sein Vorgänger im Dorf Flemmingen angesiedelt hatte.

Da bahnten sich neue Entwicklungen an, die in eine dynamischere und freiere Zukunft führen sollten.  


Vgl. Bartlett, “Die Geburt Europas aus dem Geist der Gewalt”, S. 145ff.

Mittwoch, 28. April 2021

Die Flamen machen das zwischen Schottland und Konstantinopel

Auch in Brandenburg machten sie’s:

Albrecht der Bär hatte bereits vor 1157 Gebiete östlich der Oder bis in den Fläming hinein erwerben können, bis sein Herrschaftsgebiet an die Zauche grenzte, die sein Sohn Otto als Patengeschenk des Hevellerfürsten Pribislaw-Heinrich erhalten hatte.[14] Die Söhne und Enkel Albrechts setzten als Markgrafen die geschickte Siedlungspolitik zur Stabilisierung der jungen Mark und zum Landesausbau fort. Die Besiedlung des Fläming vollzog sich in mehreren Schüben, wobei im westlichen Teil und Jüterboger Raum das Erzbistum Magdeburg die treibende Kraft war und bereits vor 1157 mit der Einwerbung von Siedlern begonnen hatte, während im südöstlichen Teil die Askanier aktiv waren.

Fläming-Festtagstracht in Jüterbog, vor 1900

Der Erzbischof Adalgod von Osterburg hatte um 1107 festgestellt: Die Heiden hier sind übel, ihr Land aber höchst ergiebig an Fleisch, an Honig, an Mehl … an Vögeln. Und wenn es sorgfältig bebaut wird, wird ein solcher Überfluss an allem Wachstum aus der Erde sein, dass kein Land mit ihm verglichen werden kann. Das sagen, die es kennen. Deswegen, ihr Sachsen, Franken, Lothringer, ihr ruhmvollen Flandrer, Bezwinger der Welt, hier könnt ihr Eure Seelen erretten und – wenn ihr wollt – das beste Land zum Siedeln bekommen.[15]

Rund 400.000 Menschen strömten im 12. und 13. Jahrhundert nach Osten. Die Siedler kamen insbesondere aus der Altmark, dem Harz, Flandern und den Rheingebieten in das Land. Der Zuzug führte sehr wahrscheinlich über Magdeburg zuerst in die Loburger und Leitzkauer Region, von dort nach Wittenberg, weiter nach Jüterbog und in der letzten Phase nach Bad Belzig. Eine wichtige Rolle spielten die Flamen, die nach verheerenden Sturmfluten im eigenen Land gerne neue Siedlungsgebiete annahmen und mit ihrer Erfahrung im Deichbau zu den Eindeichungen von Elbe und Havel beitrugen, die in den 1160er Jahren in Angriff genommen wurden. Viele Flamen ließen sich im heutigen Fläming nieder und gaben ihm somit (später und indirekt) den Namen. Bis zur Gegenwart erhielt sich die Fläming-Tracht, die auch heute noch vereinzelt zu Festtagen angelegt wird. Sie ist eine von zwei lebenden Volkstrachten in der Mark Brandenburg. Ihr Verbreitungsgebiet umfasst auch Teile des südlichen Fläming in Sachsen-Anhalt.

Nicht ganz gesichert, aber sehr wahrscheinlich, lehnen sich Ortsnamen wie BrückBrügge oder Euper[16]Ypern an flämische Städte an. Die Verbindung vom Fläming nach Flandern wird auch heute wachgehalten. Im Jahr 2005 beispielsweise fand in Wittenberg eine Ausstellung Von Flandern in die Mark – Die Besiedlung des Flämings im Mittelalter mit einer Festveranstaltung des deutsch-belgischen Vereins Fläming-Flandern zur Eröffnung statt. Ein Jahr zuvor hatte es in Antwerpen unter dem verbindenden Titel Oude en nieuwe bruggen – alte und neue Brücken eine Ausstellung zum gleichen Thema gegeben. (Wiki.)

Flandern war weit entwickelter als andere Teile des Karolingerreiches und zugleich stets von Sturmfluten bedroht, denen ganze Inseln wie Rungholt dauerhaft zum Opfer fielen. Daher ist es nicht verwunderlich, daß in der mittelalterlichen Wanderzeit die Flamen überall anzutreffen waren, auch wenn sie gelegentlich als Normannen und - öfter - als Franken bezeichnet werden. Häufig bildeten sie geschlossene Siedlungsgebiete wie in Südwales und wohl auch im Fläminggebiet.

Der Waliser Kirchenpolitiker Giraldus Cambrensis, alias Gerald von Wales (1146-1223) aus anglonormannischem Adel, schrieb über sie:

“Sie sind ein tapferes, widerstandfähiges Volk, Todfeinde der Waliser, mit denen sie sich endlose Scharmützel liefern; ein Volk, das in der bearbeitung von Wolle versiert, im Handel erfahren und darüberhinaus bereit ist, alle Anstrengungen zu unternehmen und sich jeder Gefahr zu Lande oder zu Wasser auszusetzen, um Gewinn zu machen. Je nach den Erfordernissen der Zeit und des Ortes sind sie schnell am Pflug oder bei den Waffen; ein tapferes, vom Schicksal begünstigtes Volk.”* 


Wie sähe das wohl heute der pausbäckige Kardinal Marx? 


*Bartlett, “Die Geburt Europas aus dem Geist der Gewalt”, S. 144


Dienstag, 27. April 2021

Wärme bringt das Mittelalter auf Trab

Mittelalterliche Warmzeit, Vergetreidung der Landwirtschaft mit Roggen und Hafer, die längere Haltbarkeit des Roggenbrotes, die Dreifelderwirtschaft, der schwere Räderpflug, die steigende Abwehrkraft gegen Wikinger, gegen Reiterhorden aus dem Osten und gegen die arabischen Invasoren - all das führte im Verlauf des Mittelalters zu einem Bevölkerungswachstum. Für England, wo die Zahlen durch das Domesday Book von 1086 und die Kopfsteuerlisten von 1377 annäherungsweise berechenbarer sind, könnte die Bevölkerungszahl vor der Pest bis zu 6,6 Mio. betragen, ausgehend von bis zu 2,1 Mio. im Jahr 1086. Die Pest verursachte den Tod von bis zu 50% der Engländer. 

Die vermehrten Stadtgründungen und Stadtausweitungen überall im Frankenreich reflektieren ebenfalls eine Zunahme der Bevölkerung.