Sonntag, 26. Dezember 2010

Verzällscher







Ewig währt die Kraft des Mythos, wenn er so solide gebaut ist wie der Altenberger Dom




- Vom Mythos zum Logos,
von der erfundenen Erzählung zum erkennenden, begrifflichen Denken, so wurde in der Altphilologie eine Entwicklung bei den antiken Griechen benannt, die von den Vorsokratikern zu Sokrates, Platon und Aristoteles führte. Darüber ist bis heute viel Tinte verschrieben worden, in Diskurs und Polemik.
Ohne Zweifel kann man feststellen, daß sich seit den Sophisten ein Rationalismus entwickelt hat, der systematisch-empirische Wissenschaft - nur im Okzident - ermöglichte und damit große Teile des heutigen Wissenschaftsbetriebes einschließlich einer rationalen Erkenntnistheorie, wie sie Popper in "Logik der Forschung" vorgelegt (u.a.).

Doch war damit keine gänzliche "Entzauberung der Welt" verbunden, wie sie Max Weber vermeinte zu sehen. Die meisten Menschen blieben dem Mythos und den Mythen verhaftet, Zeus und Athene, Jesus und Mohammed, Bagwhan und Jim Jones. Die verschiedensten Mythen existieren heute nebeneinander, und das Christentum hat es sogar fertiggebracht, eine rationale Theologie hervorzubringen (Bultmann u.a.), ja sogar in verschiedenen protestantischen Variationen friedlich nebeneinander zu leben, während ja der monotheistische Mythos eigentlich dazu drängt, sich so zu verhalten, wie es Schiiten und Sunniten seit dem siebten Jahrhundert bis zum heutigen Tage tun: abschlachtend.
Ein Hoch also auf das Christentum, das endlich seinen Frieden mit dem Rationalismus und den Naturwissenschaften gemacht hat.
Mythischer Ungemach droht heute vor allem aus den Naturwissenschaften selbst. Mit dem Zauberkasten des Hochleistungscomputers stellen sie das Orakel von Delphi in den Schatten, ihre Modellrechnereien erheben globale Wahrheitsansprüche, die ebenso rational nachprüfbar sind, wie es die delphischen Sprüche waren.
Man sollte sie auch als solche betrachten.

Samstag, 25. Dezember 2010

Heute schon gedroschen?





Roseggers Geburtshaus in Alpl
(Bild: Roman Klementschitz, Wien / Wiki.)





In der Christnacht

"Aber die langen Adventnächte waren bei uns immer sehr kurz. Bald nach zwei Uhr begann es im Hause unruhig zu werden. Oben auf dem Dachboden hörte man die Knechte, wie sie sich ankleideten und umhergingen, und in der Küche brachen die Mägde Späne ab und schürten am Herde. Dann gingen sie alle auf die Tenne zum Dreschen.
Auch die Mutter war aufgestanden und hatte in der Stube Licht gemacht; bald darauf erhob sich der Vater, und sie zogen Kleider an, die nicht ganz für den Werktag und auch nicht ganz für den Feiertag waren. Dann sprach die Mutter zur Ahne, die im Bett lag, einige Worte, und wenn ich, erweckt durch die Unruhe, auch irgendeine Bemerkung tat, so gab sie mir bloß zur Antwort: "Sei du nur schön still und schlaf!" - Dann zündeten meine Eltern eine Laterne an, löschten das Licht in der Stube aus und gingen aus dem Hause. Ich hörte noch die äußere Tür gehen, und ich sah an den Fenstern den Lichtschimmer vorüberflimmern, und ich hörte das Ächzen der Tritte im Schnee, und ich hörte noch das Rasseln des Kettenhundes. - Dann wurde es wieder ruhig, nur das dumpfe, gleichmäßige Pochen der Drescher war zu vernehmen, dann schlief ich wieder ein.
Der Vater und die Mutter gingen in die fast drei Stunden entfernte Pfarrkirche zu Rorate. Ich träumte ihnen nach, ich hörte die Kirchenglocken, ich hörte den Ton der Orgel und das Adventslied: Maria sei gegrüßt, du lichter Morgenstern! Und ich sah die Lichter am Hochaltar, und die Engelein, die über demselben standen, breiteten ihre goldenen Flügel aus und flogen in der Kirche umher, und einer, der mit der Posaune über dem Predigtstuhl stand, zog hinaus in die Heiden und in die Wälder und blies es durch die ganze Welt, daß die Ankunft des Heilands nahe sei. ..."
Peter Rosegger, Als ich noch der Waldbauernbub war, 1902, Anfang

Vater Analphabet, kaum Grundschule der Sohn, Schneiderlehre, Wanderschneider, dann Autor mit großer Resonanz - ein bemerkenswerter Werdegang.
Mein Großvater aus dem niederöstereichischen Berndorf las Weihnachten gerne aus dem "Waldbauernbub" vor. Das hat mich nachhaltig beeindruckt.

Freitag, 24. Dezember 2010

In Cordoba










Ein heller Kopf - vor etwa 2010 Jahren wurde Seneca in Cordoba geboren






- "Glücklich zu leben wünscht jedermann; aber die Grundlagen des Glücks erkennt fast niemand. ... Folgen wir nicht, wie das Herdenvieh, der Schar der Vorangehenden! " Seneca, Vom glückseligen Leben
Dazu hat er noch viel zu sagen, und jeder muß sich dazu noch ein paar eigene Gedanken machen. Das gehört dazu. Anders als bei diesem hier, der in die Sterne guckt und innig fühlt:
"Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir." Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Beschluß S. 186

Nett gesagt, aber welcher Unsinn! Nach 180 Seiten systematischer Entwicklung und scharfem Nachdenken mit allem Brimborium und Bombast kommt er zur gleichen Ansicht wie Hans Hansen in Th. Manns "Tonio Kröger".
Ein Mangel, dem auch Seneca nicht entgeht: die zu große Verallgemeinerung, wird bei Kant und seinem Imperativ allbeherrschend. Schade um die Zeit, Herr Kant; wären Sie lieber tanzen gegangen.

- " Die Sderne, Gott, sehen Sie doch bloß die Sderne an ... Da sdehen sie und glitzern, es ist, weiß Gott, der ganze Himmel voll." Thomas Mann, Tonio Kröger, Anfang 7. Abschnitt

- Ein eifriger Leser Kants war Christoph Böhr, der unlängst die Fortsetzung seiner Doktorarbeit als Buch herausbrachte: "Philosophie für die Welt. Zum Selbstverständnis der Popularphilosophie der deutschen Spätaufklärung".
Die Kant-Kenntnisse, die er auch den Studenten an der Uni D'dorf vermittelte, nützten ihm bei seinen Wahlkämpfen in Rheinland-Pfalz wenig, noch weniger bei der Finanzierung derselben, die offenbar nicht regelgerecht erfolgte.
Das ist natürlich nicht der Kant-Lektüre geschuldet. Aber wer weiß, vielleicht wäre er ohne Kant, aber mit Seneca weitergekommen?
Es bleibt zu konstatieren:

- Eng ist die Welt, und das Gehirn ist weit.
Leicht beieinander wohnen die Gedanken,
doch hart im Raume stoßen sich die Sachen.


Schiller, Wallensteins Tod II, 2

Na dann alle Neune, äh, fröhliche, oder so ...

Donnerstag, 23. Dezember 2010

Entschieden vorzuziehen








Mein 1974 antiquarisch erworbenes, aber erst viel später gelesenes Exemplar stammt von etwa 1930 - eine Meta verschenkte es zum neuen Jahr "mit vielen guten Wünschen"


Mit schönem Verlagszeichen: die Alfred-Kröner-Initialen kunstvoll verschlungen mit köstlichem Krönchen oben drauf -
im Hintergrund die Götterdämmerung







- Lebenskunst:
"APHORISMEN ZUR LEBENSWEISHEIT.
EINLEITUNG.

ICH NEHME DEN BEGRIFF DER LEBENSWEISHEIT
hier gänzlich im immanenten Sinne, nämlich in dem
der Kunst, das Leben möglichst angenehm und glück-
lich durchzuführen, die Anleitung zu welcher auch Eudä-
monologie genannt werden könnte: sie wäre demnach die
Anweisung zu einem glücklichen Dasein. Dieses nun
wieder ließe sich allenfalls definiren ais ein solches, welches,
rein objektiv betrachtet, oder vielmehr (da es hier auf ein
subjektives Urtheil ankommt) bei kalter und reiflicher
Überlegung, dem Nichtsein entschieden vorzuziehn wäre
."

Die UNIVERSITY OF ILLINOIS LIBRARY AT URBANA (http://snipurl.com/1pc8xt) hat Schopenhauers spätes und bedeutendes Werk vollständig ins Netz gestellt, Dank gebührt ihr dafür.

Ich bin erst spät auf diesen Text gestoßen, die universitäre Kathederphilosophie kümmert sich fast nicht um die praktische Philosophie, weswegen das Fach Philosophie zurückkehren sollte zu den Anfängen in Athen: als private Akademie. So wird man auch die vielen Salonschwätzer los, die das Fach als Beamte auf das Schlechteste vertreten und den Studenten die Zeit stehlen, was dieser aber erst später merken.
Die "Kunst, das Leben möglichst angenehm und glücklich durchzuführen", Epikur hat es nicht besser formuliert, ist das Urziel jeder Lebensweisheit, diese Kunst zu erlernen fällt nicht ganz leicht. Der junge Mensch wird zuerst diese Aufgabe gar nicht verstehen, der ältere muß sich immer wieder daran erinnern, daß es nicht nur Beruf und Familie gibt.
Daher eignet sich das kleine Büchlein gut als Lebensbegleiter, glücklich, wer es früh liest.

- Traum und Realität:
"Traumforschung. Wenn Taubstumme träumen.
Der Schlaf der Vernunft erzeugt Bewegungsspielräume: Behinderte sind nicht fixiert auf das, was sie nicht können - das belegt jetzt eine bemerkenswerte Studie zum Verhältnis von Wirklichkeit und Traum. Von Jürgen Kaube, FAZ 22.12.10 ///

Ein interessanter Befund! Es scheint viel mehr überindividuelles, phylogenetisches Programm im einzelnen Kopf zu geben, als sich das Ich-Bewußtsein gemeinhin vorstellt. Die Grenzen zwischen dem Individuellen und dem Überindividuellen sind überall fließend. Auch beim Traumgeschehen. Niemand kann mehr sinnvoll annehmen, daß der Traum der Königsweg zu einem individuellen Bewußtsein und einem individuellen "Unbewußten" sein könnte.
Man braucht längere Selbst- und Fremdbeobachtung, um die eigene Persönlichkeit von den Eigenschaften der Stammesgeschichte unterscheiden zu lernen.

Mittwoch, 22. Dezember 2010

Noch ein Buch für Weihnachten?






Schluß mit dieser Eiserei!
Dabei ist heute erst Winteranfang.




- Noch ein Buch für Weihnachten? Literarische Mädchenbildung ist schön, führt aber nicht weiter. Wo fehlt es denn am meisten in der Schule und danach?
An naturwissenschaftlichen Kenntnissen. Emsley schreibt einfach und eingängig für Dummies:

Liebe, Licht und Lippenstift: Das Beste von John Emsley (Erlebnis Wissenschaft) [Taschenbuch] 15,-
Fritten, Fett und Faltencreme: Noch mehr Chemie im Alltag (Erlebnis Wissenschaft) von John Emsley, 15,-
Sonne, Sex und Schokolade, John Emsley , gebr. 7,- bei amazon

- Modelle: Der Klimatologe Prof. Richard Lindzen vom MIT hat unlängst bei einer Anhörung vor dem amerikanischen Kongreß darauf hingewiesen, daß speziell die vielen Annahmen, die in die Klimarechenmodelle eingehen, in der Forschung umstritten seien.

Lindzen selbst "geht davon aus, dass der von ihm gefundene Iris-Effekt den Effekt der Wasserdampfverstärkung in etwa aufhebt, so dass nur noch ein 1°C Temperturanstieg bei CO2-Verdopplung übrigbleibt.

Eine im Jahre 2007 veröffentlichte Studie von Klimaforschern an der University of Alabama in Huntsville bestätigt eindrucksvoll den Iris-Effekt nach Lindzen." (wetterjournal.wordpress.com/2009/05/21/die-argumente-der-klimaskeptiker-i-treibhauseffekt-und-wolken/ )
Die Probleme jeder Modellbildung spricht ein Forschungspraktiker dergestalt an:
" Als ehemaliger Leiter einer Forschungsabteilung habe ich mich lange gegen den Trend gewehrt, exakte Messungen immer mehr den kostengünstigeren Modellen zu opfern. ... Wurde früher die Forschung zum Verhalten technischer Systeme direkt in Versuchsapparaturen mit systematisch veränderten Einflussgrößen durchgeführt, so ergab sich später die Notwendigkeit, zunächst in vorgeschalteten Eichreihen empirisch das Verhalten des Modells zu testen: welche Ergebnisse liefert die "Black Box" eines Modells, wenn dies oder jenes eingegeben wird? Das Modell wandelte sich vom Hilfsmittel bei der Forschung zum Objekt der Forschung.
Da in der Regel viele Mitarbeiter an den Modellen werkeln und oft aus Personalmangel keine peniblen Dokumentationen (Modellpflege) erstellt werden, ist die Gefahr groß, dass später in Vergessenheit gerät, welche Annahmen in ein Modell eingeflossen sind und unter welchen Randbedingungen es - wenn überhaupt - eingesetzt werden kann."
(DR.-ING. KLAUS GREBE, LB FAZ 22.4.10)

Eichreihen lassen sich natürlich bei Klimamodellen nicht fahren, auch nicht in der langfristigen Wettervorhersage. Daher die idiotischen Winterprognosen des britischen Wetteramtes (U.K. Met Office) zum dritten Mal hintereinander. Auch in der vergleichsweise einfachen kurzfristigen Wettervorhersage bleiben die Unsicherheiten groß, so daß die Ungenauigkeit für mehr als drei Tage stark ansteigt.
Wahrscheinlich muß man die Klimamodellierer, soweit sie nicht hübsch bescheiden bleiben und ihre Kunst als sehr vorläufiges und völlig unreifes Forschungsgebiet begreifen, als schamlose Scharlatane bezeichnen.

- "Red Faces At The Met Office

After predicting a mild winter, the British weather service is profoundly ­embarrassed by the current deep freeze ..." (www.thegwpf.org/)