Dienstag, 4. März 2008

Eric Voegelin, Die politischen Religionen, S. 54

- Ja, auch dieser rote Verführer meiner Jugend, Walter Jens:"Mit der Anamnese beginnen die Fragen. Im Spätherbst 2003 hat ihn sein phänomenales Erinnerungsvermögen zum ersten Mal verlassen. Er sei sich selber ein Rätsel geworden. Da geisterte die Karteikarte mit der Ordnungsnummer 9265911 durch die Medien, die seinen NSDAP-Eintritt im Sommer 1942 dokumentierte. Mein Vater war damals neunzehn Jahre. Warum hat er nie einen Ton gesagt? Hätte er daheim am Mittagstisch nicht wenigstens von der unstrittigen Mitgliedschaft im nationalsozialistischen Studentenbund erzählen können?... " Vaters Vergessen, FAZ 4.3. // Bei diesen 120%igen Gutmenschen kann man stets vermuten, daß sie eitle Heuchler sind, die kompensieren.

- Aus einem Briefwechsel etwa 2003: ' In der Zeit Nr. 42 fand ich einen Leserbrief zu dem Sattler-Artikel über Voegelin folgenden Inhalts: "Dank für Ihren Artikel über Eric Voegelin. Die Öffentlichkeit verdient es jedoch auch zu erfahren, dass 1933 bei Mohr in Tübingen ein Buch von Eric Voegelin, Privatdozent an der Universität Wien, mit dem Titel Rasse und Staat erschien. Voegelin vergleicht "Judentum" und "nordische Idee" und erklärt, das "Judentum" sei, verglichen mit der "positiv gewerteten Gemeinschaft ... ein Nichts" (207). Er spricht von der "Trennung der großen kulturschöpferischen nordischen Rasse von den anderen minder begabten" und dem "politischen Gegensatz der Rassen ... mit seiner Steigerung zu einem weltgeschichtlichen Kampf zwischen einem Prinzip des Guten und Bösen" (158f). 1933 wurden gewiss fanatischere Schriften zum Rassismus veröffentlicht. Aber Voegelins Anspruch, den Stephan Sattler wiederholt, er sei "dem Nationalsozialismus gegenüber resistent" geblieben, ist nicht glaubwürdig. Es ist wohl kein Zufall, dass Voegelins Buch Rasse und Staat in keiner seiner offiziellen Bibliografien auftaucht. Dabei ist es sehr leicht zugänglich, ausleihbar etwa in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg. PROF. ULRICH STEINVORTH PHILOSOPHISCHES SEMINAR UNIVERSITÄT HAMBURG" '
Antwort WD: "Wenn man nicht gerade bei Elie Halevy (Die Ära der Tyranneien) studiert hat, wie Raymond Aron, oder bei Franz Oppenheimer (Der Staat), wie Ludwig Erhard, der denkt als junger Mann so, wie weltweit gedacht wurde; das kann man sich gut vorstellen, das lohnt kaum den Aufwand der Überprüfung; in Japan und China wird im Prinzip auch heute noch so gedacht.

Was hat ein junger Privatdozent schon zu sagen, wenn es nicht um einen engen Bereich geht, möglichst in der Physik. (Aber auch dort gibt es die Fälscher aus Ehrgeiz, siehe den Fall des begabten jungen dt. Physikers Schön an den Bell-Labs).
Ich kenne weder Steinvorth noch das angesprochene (Mach-)Werk, doch sind seinerzeit viele intelligente Menschen auf den Zeitgeist (Gabriel Tarde: Nachahmung ist das Grundgesetz sozialen Handelns) hereingefallen, man denke nur an Benn und Heidegger, die beide keine Opportunisten waren, an Gehlen und Freyer, warum nicht auch Voegelin. Zu beachten ist auch die verzögerte Persönlichkeitsreife durch die langen Schulzeiten bei Akademikern, die mitunter lebenslang anhält durch den Aufenthalt in akademischen Naturschutzgebieten.
Voegelin hat offenbar seinen geistigen Werdegang reflektiert, hat dazugelernt, vielleicht sehr schnell, ähnlich wie Benn (Heidegger blieb unbelehrbar), und stieß auf den omnipräsenten Hegel. Von dem ist es nicht weit zur Omnipotenz des Staates, wie die Nationalsozialisten ihn aufführten. Rassedenken ist übrigens nicht deckungsgleich mit dem Nationalsozialismus: Gobineau und Chamberlain als systematische Gründungsdenker des europäischen Antisemitismus, auch Carlyle, hatten ihre Zeit vor den Nazis. Die nationalen Sozialisten stellten nichts Neues dar, sie griffen auf, was weit verbreitet war. Wer in rasseähnlichen Kategorien dachte, konnte trotzdem ein Gegner der Nazis und persönlicher und demonstrativer Freund von Juden sein, wie Spengler. Andererseits dachte ein bedeutender jüdischer Historiker wie Hans Rothfels durchaus völkisch; die nat. Sozialisten beraubten ihn seines (Königsberger) Lehrstuhls, er emigrierte in die USA, kehrte 1948 zurück und führte seine akad. Karriere fort.
Steinvorths Argumentation ist also höchst unscharf und unsauber und wirft Dinge in einen Topf, die es in den unterschiedlichsten Erscheinungen gab. (Es wäre einmal zu bilanzieren, ob die Geisteswissenschaften weltweit seit Platon, dem Begründer strikter politischer Eugenik, mehr Unsinn oder mehr Unheil hervorgebracht haben.)
Eine Quelle des Denkens in kollektiven Pseudogemeinschaften wie Kasten, Klassen, Rassen, Nationen oder Völkern benennt Voegelin immerhin schon 1938 sehr klarsichtig:
„In der Haltung innerweltlicher Religiosität akzeptiert der Mensch diese Stellung (der innerweltlichen Kollektivexistenz, WD), er nimmt sich selbst als Werkzeug, als Hegelschen Maschinenteil des großen Ganzen, und unterwirft sich willig den technischen Mitteln, mit denen die Organisation des Kollektivums ihn eingliedert.“
Eric Voegelin, Die politischen Religionen, S. 54
(vgl. auch S. 13ff.)

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