Mittwoch, 14. Mai 2008

Europa: St. Veit am Flaum, Fiume und Rijeka: Europa ohne Kommissare

Wolf Doleys
St. Veit am Flaum, Fiume und Rijeka: Europa ohne Kommissare
oder: der Euro reicht als europäische Verfassung

Man fragt sich, wie die das früher in Europa gemacht haben - ohne 50.000 Brüsselkraten, Gipfelspesentreffen, Subventionsdschungel und sanfte Agrardiktatur - die machten das offenbar einfach. Und die alte Kirche St. Veit stellt die neue, herrschaftliche Bundeskanzlei, wieder in Berlin, trotzdem in den Schatten. An Dezenz, nicht an Bombast.
Die machten das einfach, und es wob sich im Laufe der Jahrhunderte eine wunderschöner Flickenteppich, wie ihn Architekt Schultes nicht in der Berliner Bombastkanzlei geduldet hätte und wie man ihn im Brüsseler Euro-Kommissionsquartier nicht finden wird. Da hängt vielleicht Warhols Mao schön rosa in sinnfälligem Einheitskittel. Natürlich nur in der Etage der Kommissare, unten gibts Campbell’s Tomatensuppe aus der Dose.
Die machten das einfach, weil es in Venedig schon zu teuer war, weil das Mittelmeer bis Kairo reicht, weil es gerade in Landschaft, Konstellationen und Absichten paßte. Ohne Zertifizierungsbehörde. Und sie konnten es ohne die Milliarden des Regionalstrukturfonds, ohne Baugenehmigung für die neue Mole, ohne Besetzung der Baustelle durch grüne Wegelagerer - es muß ein Heldengeschlecht im Goldenen Zeitalter gewesen sein; allerdings mußten sie ihre Schulen selbst und sogar die Schnupfenmittel aus eigener Tasche bezahlen.
Dann kam der Fortschritt und der Nationalismus, die Eroberer und Interventen wechselten nun schneller als die Hemden, den letzten Zuschlag bekam Kroatien und demnächst gehört St. Veit am Flaum, pardon, dieser Name wurde inzwischen aus dem Brockhaus gestrichen, demnächst gehört Rijeka wohl gar zum richtigen Europa, zur Europäischen Union, und kann dann den Milliardenweg des Mezzogiorno beschreiten in einem Reich von Kommissaren, Zahlern und Zahlungsempfängern.
Es kann sich einstellen in einen großen, schönen Stall, für den eine große, einheitliche Stallhasenordnung im Gespräch ist.
Ob St. Veit Lust dazu hat? Der Regionalstrukturzaster lockt. So eine Kommissarsabfütterung ist pünktlich und zuverlässig, der Stall hat stattliche Ausmaße und auf dem Dach weht eine Fahne mit goldenen Partikeln auf blauem Grund.
Die goldenen Partikel glänzen sehr verlockend. Die rechten oberen Stallkammern zahlen für die links unten. Rund ums Mittelmeer sitzt man tagsüber gern im Kaffeehaus. Das ist menschlich.
Andererseits ist der Klub der Kommissare noch unschlüssig. Der Erhöhung der Zahl der Untertanen steht natürlich nichts entgegen, Cyril Northcote Parkinson läßt grüßen, doch ungesittetes Verhalten wie zollfreier Bananentausch und die Unterbietung sozialer, moderner und vernünftiger Karottennormen treffen bei ihnen auf große Feinfühligkeit. Und sind neue Kolonien nicht oft unbotmäßig, wollen alles besser wissen, bringen nicht genügend Plandisziplin mit und richten gar manchmal nicht einmal ihre Wahlergebnisse nach der Brüsseler Mildtätigkeit aus? Gut, daß der Dienst- und Aufnahmeweg lang und verschlungen ist und dergestalt die Entscheidungen ihrer Reife langsam auf jedem zu passierenden Schreibtisch entgegenlagern können.
Dies hat allerdings den Nachteil, daß Frondeure und übelwollende Elemente Zeit für Subversionen gewinnen und Gelegenheit entsteht, unsinnige und unharmonische Forderungen auszubrüten wie Steuerwettbewerb, (Arbeits-) Vertragsfreiheit, Subsidiarität, direkte Demokratie sowie Abstimmungen über Währungswechsel und ähnliche Kinkellitzchen.
Der neue Zentral-Euro, obwohl auf dem Verwaltungswege geboren und zur Nivellierung auserkoren, könnte solche unamtlichen Überlegungen und Bewegungen in der unübersehbaren europäischen Ebene auf Graswurzelniveau sogar begünstigen, macht er doch zwischen Portugal und Schweden alle Faktorpreise, Steuern und Subventionen direkt vergleichbar und stärkt damit den Wettbewerbsgedanken. Solche fadenscheinigen Vergleiche haben bereits Unsummen an Investitionen nach Irland und Spanien gelenkt, statt in ordentlichen Hochsteuerländern die soziale Harmonie der Bequemlichkeit und die Verwaltungsherrschaft zu fördern. Der Euro könnte so gefährlich segensreich werden wie die römische Zentral-Sesterze, mit der dann ohne Zentralerlaubnis auf Teufel komm’ heraus gehandelt und gewandelt wurde. Das schwächt die Zentralbürokratie, die mit mehr Regulierung antwortet, erstarrt und so ihr eigenes Grab schaufelt. Am Ende ging es ganz ohne Rom, nur ein Römchen blieb übrig, das sich heute von Mailand aushalten läßt.
Aus solchen ungeordneten Entwicklungen im vereinfachenden Rahmen der Einheitswährung könnten noch einmal viele St. Veits am Flaum, Fiumes und Rijekas entstehen. Von Brüssel blieben dann als fast einzig positive Erinnerung die Pralinen übrig. Und vom nicht mehr weggesteuerten Wohlstand ließe sich ein zentrales Büro für Allgemeines der Europäischen Föderation bezahlen, nicht zu groß natürlich, nicht zu nah - vielleicht in Liechtenstein, damit der Sinn für solides Rechenwerk erhalten bleibt und die Aufsicht leichter fällt. Eine Hauptstadt wie in Zeiten des Nationalismus ist nicht mehr nötig im Zeichen der dezentralen Weltvernetzung; das Geschacher um Stimmenblöcke, um anderen Ländern den eigenen Willen aufzuzwingen, erscheint übel anachronistisch. Die Freiheit des kleinen Dänemarks ist als eher kostbarer einzuschätzen als die der großen Massenländer. Der alte Staat stellt sich als Spinnennetz dar, in dem die Staatsbürokratie in der Hauptstadt die klebrigen Fäden zieht, in denen die Bürger gefangen sind. Das neue Europa sollte frei schweben zwischen Bundesstaat und europäischem Völkerbund und so deutsch sein wie italienisch, so kroatisch wie ungarisch, bei freiem Eintritt für alle Freunde der Gewaltenteilung, der Freiheit des Individuums und der Marktwirtschaft. Die Euro-Kriterien verstehen sich für verantwortliches und solides Finanzgebaren von selbst. Sie sind für die verantwortungslosen Schuldenmacher und Konkursverschlepper Athen, Rom, Berlin und Brüssel verbindlicher zu formulieren. Eintritt spesenfrei, ohne Warteschlange und ohne Subventionsknechtschaftsverheißung. Das hieße ein Europa. Frei schwebend zwischen Bundesstaat und europäischem Völkerbund - so ähnlich schlug es Constantin Frantz (Deutschland u. der Föderalismus) schon einmal vor, bevor die Nationalismen Europa verheerten und zerstörten. (Frantz wurde inzwischen ebenfalls zugunsten eines zeitgeistigen Musikanten aus dem „großen“ Brockhaus gestrichen.)
Da könnte auch die Schweiz mitmachen, das einzige europäische Land mit ungebrochener freiheitlicher Tradition und deswegen kontinuierlicher Prosperität und dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen Europas.
Das Büro fürs Allgemeine, vielleicht in Anlehnung an den Schweizer Bundesrat zu gestalten, könnte dann das koordinieren, was die einzelnen Freistaaten wirklich nur zusammen unternehmen wollen, z. B. eine gemeinsame Raketenabwehr. Die Büroordnung sollte mit ganz wenigen Paragraphen auskommen. Dann lasten sie nicht zu schwer auf dem europäischen Geist und lassen sich schlechter für die ungeschlechtliche Vermehrung von Beamten verwenden.
Und jedes Land des Bundes könnte weiterhin sagen: Es lebe Frankreich! Es lebe Deutschland! Etc.
(2001; es gab bis 1998 den Außenminister Klaus Kinkel, der, wie sein vormaliger Chef Genscher, offenbar nicht sah, daß man Jugoslawien/Serbien unbedingt an Westeuropa anbinden mußte.)

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