Mittwoch, 14. Mai 2008

Kreditkrise ist eine Regulierungskrise: Nachhilfe für Köhler


STRIZZ, Reiche, FAZ
Da hat Frau Regel Amrain wieder recht

Sonne, bis 25°

- Kapitalismus-Kritik. Köhler kritisiert Weltfinanzsystem als „Monster“ . :
"Die Kreditkrise ist eine Regulierungskrise.
Stabilitätsrisiken einer fatalen Gleichschaltung
Die Kreditkrise hat wesentlich mit falschen Regulierungen des Bankensektors zu tun. Sie setzen falsche Anreize und führen zu einem unerwünschten Parallel-Verhalten der Institute.
Von Yvan Lengwiler*
10. Mai 2008, Neue Zürcher Zeitung

Die Finanzmärkte sind in Aufruhr. Der Markt für die schlechtesten Tranchen der verbrieften Hypothekarkredite ist implodiert. Das hat zu einem Versiegen der Liquidität auch bei den sicheren Tranchen dieses Marktes geführt. In der Folge mussten viele Banken aussergewöhnliche Abschreibungen vornehmen. Heute stehen wir als Folge dieser Verwerfungen vor einer Situation anziehender Inflation und sich abkühlender Konjunktur. Viele Investoren haben viel Geld verloren. Die Folgen sind Verunsicherung und Ärger. Noch wichtiger ist jedoch der Verlust an Vertrauen in die Kompetenz der Risikomanager, in die Nützlichkeit von Ratings und in die Wirksamkeit der Bankenaufsicht und -regulierung.
Vom Put zum Airbag

Die Politik des Fed und der Bank of England (BoE) in dieser Krise ist ungewöhnlich: Sie nehmen illiquide, verbriefte Kreditpapiere als Sicherheit im Austausch gegen Zentralbankgeld an. So soll auf dem Markt, auf dem sich fast nur noch Verkäufer finden, eine Nachfrage manifestiert werden, um die weitere Ausdehnung der Krise zu verhindern. (Daneben gibt es Anzeichen dafür, dass einige Hedge-Funds oder Private-Equity-Gesellschaften inzwischen als Käufer dieser illiquiden Papiere auftreten, weil sie unter dem inneren Wert gehandelt werden.) Die Strategien der beiden Notenbanken sind innovativ; sie offerieren so etwas wie eine «lender of last resort»-Fazilität – nicht für eine notleidende Bank, sondern für die gesamte Branche. Das ist eine wirksame und mutige Massnahme. Aber sie birgt Gefahren.

In den 1990er Jahren ging der Begriff des Greenspan-Put durch die Medien. Damit wurde die Strategie des Fed bezeichnet, die monetären Zügel zu lockern, wenn die Börse stark zu fallen drohte, besonders nach der LTCM-Krise. Dadurch schenkte das Fed in einem gewissen Umfang den Aktieninvestoren eine Gratis-Versicherung (einen Put), ohne eine Prämie darauf zu kassieren. Dieses Vorgehen kann Anleger zu erhöhtem Risiko verleiten. Die heutigen Massnahmen des Fed und der BoE sind im Vergleich dazu spektakulärer — und gefährlicher. Sie kommen einer allgemein verfügbaren «bail out»-Strategie nahe. Das ist nicht nur ein Put, sondern eher eine Art Rundumschutz — ein Airbag, der die Banken in Zukunft zu noch weniger Sorgfalt verleiten könnte. Zudem birgt die Strategie eine makroökonomische Gefahr: Weil das Fed damit beschäftigt ist, dem Markt Liquidität einzuflössen, kann es kaum den Zinssatz anheben, wie es nötig wäre, um die keimende Inflationserwartung zu brechen.
Was produziert eine Bank?

Um die Ursachen der Krise zu verstehen, muss man einen Schritt zurücktreten und die einfache Frage stellen: Was produziert eine Bank? Die klassischen Bankgeschäfte sind die Entgegennahme von Depositen, die Gewährung von Krediten und die Vorfinanzierung öffentlicher Emissionen. Gemeinsam ist diesen Aktivitäten, dass die Bank illiquide Vermögenswerte in liquide umwandelt: Aus verstreuten, kleinen Depositen werden grössere Kredite gezogen, die dann produktiv eingesetzt zu Kapital werden; aus illiquiden, privat gehaltenen Gesellschaften werden öffentlich gehandelte Publikumsgesellschaften. Man kann also sagen, dass Banken eigentlich Liquidität produzieren. Aus diesem Grund stehen in einer klassischen Bankbilanz liquide Verbindlichkeiten illiquiden Forderungen gegenüber. Insofern widerspricht die goldene Bankbilanz-Regel eigentlich dem Geschäftsmodell der Bank. Eine Bank, die auf der Aktiv- und der Passivseite dieselben Laufzeiten, also dieselben Liquiditäten, aufweist, produziert keine Liquidität und ist deshalb keine Bank. Das ist der Grund, weshalb Banken inhärent einem Liquiditätsrisiko ausgesetzt sind.

Die Verbriefung von Krediten bedeutet, dass die Bank die illiquiden Forderungen, die sie gegenüber ihren Kreditkunden hat, in ein Wertpapier verpackt und dieses am Markt verkauft. Typischerweise sind es institutionelle Investoren, die solche Wertpapiere kaufen. Für die Bank ist die Verbriefung das Gegenteil des klassischen Bankgeschäftes, praktisch eine Storno-Buchung des Bankgeschäftes. Wenn eine Bank einen Kredit spricht, ihn aber in verbriefter Form an eine dritte Partei weiterverkauft, ist nicht mehr die Bank selbst der Liquiditätsproduzent; sie fungiert nur als Zwischenhändler zwischen dem Kreditnehmer (dem Liquiditätskäufer) und dem institutionellen Investor (dem Liquiditätsproduzenten). Die Hedge-Funds ihrerseits haben das Geld, mit dem sie den Banken die illiquiden Forderungen abkaufen, zu einem grossen Teil von den Banken selbst erhalten. Diese sind nämlich Teilhaber der Hedge-Funds oder stellen diesen Fremdkapital zur Verfügung. Damit verkaufen sich die Banken faktisch ihre eigenen Kreditportfolios.
Notverkäufe

Ein wichtiger Faktor, der die Banken zu diesem Verhalten bewegt, ist «regulatorische Arbitrage» – man könnte es auch «window dressing» nennen. Weil die Bank nun Forderungen gegen institutionelle Investoren in den Büchern hat und nicht mehr gegen eine Vielzahl kleiner Kreditnehmer zweifelhafter Güte, erscheint die Bilanz schöner. Der Regulator begnügt sich mit einer kleineren (sogenannt risikoadjustierten) Eigenkapitalquote. Faktisch hat sich aber kaum etwas geändert: Die Bank hat die Kredite immer noch in den Büchern, man sieht sie nur nicht mehr. Schlimmer noch, die Bank hat nicht nur jene Kredite faktisch in den Büchern, die sie am besten kennt, weil sie sie selber gesprochen hat, sondern auch viele andere Kredite, die andere Banken den Hedge-Funds verkauft haben. Am Schluss weiss niemand mehr, wer genau welche Risiken trägt, und die Komplexität der Bilanz hat deutlich zugenommen. Dies scheint ein Grund zu sein, weshalb das Risikomanagement mancher Bank so spektakulär versagt hat. Der CEO der UBS, Marcel Rohner, sagte an der GV vom 23. April, das Management der Bank habe vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr gesehen. Die Komplexität der eigenen Bank ist den Verantwortlichen offenbar über den Kopf gewachsen. Diese öffentlich vorgetragene Einsicht ist die beste Grundlage für Besserung.

Als Mitte letzten Jahres einzelne Hedge-Funds in finanzielle Schieflage gerieten, zählte dadurch plötzlich ein Teil der Aktiven der Banken nicht mehr zur ersten Bonitätsklasse. Die Banken mussten aufgrund der Regulierung, der sie unterworfen sind, entweder neues Eigenkapital unterlegen oder die Forderungen loswerden. Dadurch wurde eine koordinierte, weltweite Verkaufswelle losgetreten, was die Preise ins Bodenlose stürzen liess. Verbriefte Hypothekarkredite sind heute wohl unter dem inneren Wert zu haben; wer die guten Forderungen von den wirklich schlechten zu unterscheiden vermag und über einen langen Atem verfügt, kann damit viel Geld verdienen. Deshalb sind diese Papiere für die Hedge-Funds interessant. Aber weshalb können die Banken die zurzeit illiquiden Papiere nicht behalten, wo es doch sozusagen zur Natur einer Bank gehört, dass sie nicht-liquide Forderungen in ihrer Bilanz stehen hat? Der Grund ist, dass der Regulator quartalsweise ein «true and fair view»-Reporting verlangt. Weil aber nicht klar ist, was der faire Wert einer Forderung ist, für die es keinen Markt mehr gibt, kommen diese Papiere mit einem grossen Abschreiber in die Bücher. Das Fazit lautet, dass die Hedge-Funds die unterbewerteten Papiere kaufen können, weil sie nicht der Bankenregulierung unterworfen sind, die Banken müssen sie dagegen aus genau diesem Grund verkaufen.
Krisenverschärfende Effekte

Der heutige Regulierungsrahmen weist drei Problembereiche auf:
– Erstens verlangt er zu viel Transparenz in einem Bereich, in dem diese Transparenz gar nicht verfügbar sein kann. Illiquide Assets zu bewerten, ist schwierig, weil keine verlässlichen Marktpreise zur Verfügung stehen. Um die illiquiden Assets alle drei Monate zu bewerten, werden vorhandene Marktdaten mit Modellen (und vielen Annahmen) verbunden. Wenn sich die Liquidität in einem Teilmarkt massiv verschlechtert, müssen die Banken einen grösseren Abschlag vornehmen. Die Bilanz sieht dann schlechter aus, als sie womöglich ist. Das ist alles andere als ein Beitrag zur Überwindung der Krise.

– Zweitens ist die Bankenregulierung insofern kartellfördernd, als sie die Eigenkapitalerfordernisse der ganzen Branche koordiniert. Sie zeigt den Banken, bis wohin sie gehen dürfen. Der Wettbewerb bringt dann die Banken dazu, tatsächlich in die Nähe dieser Grenze zu gehen. Früher, als es noch keine derart detaillierte Bankenaufsicht und -kontrolle gab, waren sowohl der Anteil der Privatbanken als auch die Eigenkapitalquote viel höher als heute. Ich behaupte daher, dass die Regulierung faktisch zu einer Senkung des Eigenkapitals geführt hat, nicht umgekehrt.

– Drittens werden die Banken in ihrem Verhalten in einer Krise gleichgeschaltet, was das Systemrisiko verschärft. Der Regulator verlangt von allen Banken, die ein notleidendes oder illiquid gewordenes Papier in der Bilanz haben, dieses mit einem höheren Disagio zu bewerten und mit mehr Eigenkapital zu unterlegen. Dies führt zu koordinierten Notverkäufen und verschärft den Preiszerfall. Ich behaupte deshalb, dass die Regulierung das System als Ganzes nicht sicherer, sondern unsicherer gemacht hat.

Nach den massiven Verlusten, die viele Anleger erlitten haben, ist der Ruf nach strengerer Regulierung in aller Munde. Das ist verständlich, aber fatal. Womit haben die Regulatoren unser Vertrauen verdient? Ich schlage stattdessen vor, die Krise für eine Lockerung der Regeln zu nutzen. Vermutlich würden die Banken ohne die Koordination, die ihnen die Vorschriften auferlegen, mehr Eigenkapital halten, weniger verbriefen und mit Risiken sorgsamer umgehen. Damit würde das System als Ganzes an Stabilität gewinnen.

* Prof. Dr. Yvan Lengwiler ist an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel tätig.

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