Sonntag, 28. Dezember 2008

Sartre, Beauvoir


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- Die geistige Verwirrung der Katheder-Philosophen, Folge 12341:
Sartre, Beauvoir: Unheilige Nichtfamilie

Pure Paare
"Zeit der Reife", ein Roman Jean-Paul Sartres aus dem Jahr 1946, erster Teil der Trilogie "Wege der Freiheit", erzählt die Geschichte einer ungewollten Schwangerschaft. Mathieu, ein Gymnasiallehrer, wie Sartre selbst, steht 1938 vor der Frage, ob er sich den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg anschließen soll. Es wird nichts daraus (auch Sartre hatte mit dem Gedanken gespielt, sich aber dann für die Anstellung an der Schule entschieden) - wie überhaupt aus seinen Ideen nichts wird. Seine Geliebte Marcelle erwartet ein Kind. Peinliche Situation! ",Nun - es ist passiert.' ,Was? Was ist passiert?' ,Es ist passiert.' Mathieu verzog das Gesicht: ,Bist du sicher?' ,Ganz sicher. Du weißt, dass ich mir nie etwas vormache: es blieb zwei Monate aus.' ,Scheiße!' sagte Mathieu."
Die folgenden Junitage verbringt er mit der Suche nach einem Abtreibungsarzt und den Geldmitteln, um den Eingriff bezahlen zu können. Denn - so will es Sartres Fiktion - der Spezialist, ein erst aus Deutschland, dann aus Österreich emigrierter Jude - will aus Ressentiment gegen Nichtjuden vom exorbitanten Preis nichts nachlassen. Am Ende begeht Mathieu einen Diebstahl, nur um erfahren zu müssen, dass Marcelle sich inzwischen entschieden hat, das Kind auszutragen: Sie wird einen Homosexuellen heiraten.
Man kann nicht sagen, dass der Roman direkt für die Abtreibung plädiere. Dazu ist dieser Mathieu ein zu windiger Geselle, der eben zu gar keiner Entscheidung kommt: weder für die Vaterschaft, noch für die Kommunistische Partei, die ihm in Gestalt eines durchaus sympathisch gezeichneten Funktionärs nahe ist. Immerhin aber legte das Ende des Romans nahe, dass jenes Paar, dem das Kind dann geschenkt wird, Marcelle und der verklemmte Homosexuelle Daniel, eben kein Paar im vollen Sinne werden kann.
Während Sartre an diesem Roman schrieb, war Simone de Beauvoir mit der Arbeit an ihrem feministischen Klassiker "Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau" beschäftigt. Ein Kapitel widmet sich dem Thema der Mutterschaft, die eingangs als das "physiologische Schicksal der Frau" definiert wird. Aber nur, um von dieser bloß "natürlichen" Berufung sogleich zur Gesellschaft überzugehen, die sich "nie einfach mit der Natur abfindet". Dieses Soziale erscheint nun indes nicht als kulturelle Modellierung der Mutterschaft, sondern zunächst einmal als Geburtenkontrolle, Verhütung, Abtreibung. Man kann sich dem Eindruck nicht verschließen, dass die Mutterschaft der Philosophin als ein "unauthentischer" biographischer Entwurf erschien: zu sehr natur- und schicksalsbestimmt, um für Autonomie gelten zu können.
In diesem Zusammenhang fallen die berüchtigten Sätze über den Fötus als Parasiten und später als "Polypen": "Aber die Schwangerschaft ist vor allem ein Drama, das sich bei der Frau zwischen ihren beiden Ich abspielt. Sie empfindet sie gleichzeitig als eine Bereicherung und als eine Verstümmelung. Der Fötus ist ein Teil ihres Körpers und auch wieder ein Parasit, der auf ihre Kosten lebt. Sie besitzt ihn und wird doch wieder von ihm besessen." Auch Simone de Beauvoir plädiert nicht direkt für die Abtreibung, aber der ganze Argumentationsgang offenbart einen scheelen Blick auf die Mutterschaft, vor allem dann, wenn es nicht mehr nur um ein Kind, sondern um mehrere geht - da spricht sie von "Gebärmaschinen" wie der wegen dieses Wortes Jahrzehnte später heftig gescholtene Bischof Mixa.
Überall stützt eine dogmatische Psychoanalyse die existenzialistischen Befunde: Wenn die werdende Mutter Übelkeitsanfälle oder Heißhunger nach bestimmten Speisen empfindet, steht dahinter der Vernichtungswunsch gegen das Kind. Wie sie sich auch stellen mag - die Frau, so sagt es dieses Buch, wird als Person in der Mutterschaft ebenso bestätigt wie beschädigt.
Es passt durchaus dazu, dass Sartre seinerseits in seinem philosophischen Hauptwerk "Das Sein und das Nichts"zwar scharfsinnige und subtile Analysen von Paarbeziehungen gibt - aber die beiden, die das Paar bilden, haben keine Vergangenheit in einer Familie, noch finden sie eine leibliche Fortsetzung. Kinder haben sozusagen keine logische Stelle im Existenzialismus. Man wird dieser Tatsache erst recht inne, wenn man Hegels "Phänomenologie des Geistes" mit Sartres Überlegungen vergleicht. Hier findet man die Beziehungsanalysen ausgefaltet in einer Phänomenologie der antiken Familie mit ihren Penaten, ihren Verhältnissen zwischen Mann und Frau, zwischen Bruder und Schwester. Erst diese integrale Familie bildet eine Sittlichkeit aus, die für Hegel zwar nicht letzte Geltung beanspruchen kann - das Gemeinwesen steht höher und muss sein Recht auch gegen die Pietät der Familie durchsetzen -, aber als Stufe im dialektischen Gang legitimiert ist.
Sartre und Simone de Beauvoir galten in ihrem Jahrhundert mit ihrem "Liebespakt" gleichsam als das Idealpaar der Intellektuellen. Heute sieht man, zu welchem Preis diese Idealisierung erkauft war. Philosophierende Trümmerfrauen hätten hier viel aufzuräumen.
LORENZ JÄGER FAZ 24.12.2008

- Die geistige Verwirrung der Katheder-Philosophen, Folge 12342 : "... Sartres Tour de RAF am 4. Dezember 1974 verhalf der Baader-Gang zu einem überwältigenden Propaganda-Erfolg. Auf einer Pressekonferenz plauderte der 69-jährige Promi aus Paris über die angeblich kahle, fensterlose Zelle des Terroristenführers, der wie ein Gefolterter wirke. Dass er Baaders extravagante Zelle gar nicht gesehen hatte, dass die Visite im nüchternen Besucherraum stattgefunden hatte, dass sich der Häftling seit über 90 Tagen im selbst gewählten Hungerstreik befand, scherte den hinfälligen und beinahe erblindeten Revolutionsfantasten nicht weiter. ..." Focus 3.9.07

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