Mittwoch, 18. Februar 2009

Sind wir jetzt alle Keynesianer? -4° bis +1°C

-4° bis +1°C, keine neuen Schneefälle, aber in Österreich und der Schweiz bis zu 70 cm Neuschnee, Lawinentote, na ja, was will man bei Klimaerwärmung anderes erwarten?


Sind wir jetzt alle Keynesianer?

Von Philip Plickert
FAZ 15. Februar 2009 We are all Keynesians now! Dieser Satz wird oft Richard Nixon zugeschrieben, was aber nicht korrekt ist. Tatsächlich hatte der amerikanische Präsident 1971 einen Haushalt präsentiert, der mehr Staatsausgaben und ein erhebliches Defizit vorsah. Das sollte die Konjunktur stimulieren. Dazu verkündete Nixon: "I am now a Keynesian." Die Öffentlichkeit war überrascht, dass der eigentlich als strikter Marktwirtschaftler geltende Republikaner nun für eine expansive Fiskalpolitik - also "mehr Staat" - plädierte.
Anfang der siebziger Jahre waren die Lehren des britischen Ökonomen John Maynard Keynes tatsächlich Richtschnur der "nachfrageorientierten" Konjunkturpolitik fast aller westlichen Industrieländer. Dann aber kam die Ölpreiskrise - ein angebotsseitiger Schock, der die Wirtschaft in eine tiefe Rezession stürzte. Dagegen versagten die keynesianischen Rezepte. Alle Ausgabenprogramme entzündeten nur Strohfeuer, die Inflation sprang auf bedenkliche Raten, die öffentlichen Schuldenberge wuchsen rasant. Nach dieser Erfahrung galt Keynes als überholt.
Der Zeitgeist dreht
In der aktuellen Weltwirtschaftskrise dreht der Zeitgeist. Vom "keynesianischen Moment" spricht Paul Krugman, der 2008 mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Ökonom. Als sich im Januar die Mitglieder der "American Economic Association" in San Francisco versammelten, war überall der Ruf zu hören: "Die Staatsausgaben müssen kräftig steigen." Selbst Martin Feldstein stimmte in den Chor ein - "obwohl es mir nicht leichtfällt", wie der betont konservative Ökonom zugab, der unter Ronald Reagan der Vorsitzende des Council of Economic Advisors (CEA) war und für einen schlanken Staat warb.

Wenn die Rezession als Folge einer kollabierenden Nachfrage gesehen wird, muss der Staat das Loch mit öffentlichen Aufträgen stopfen. Das soeben verabschiedete amerikanische Konjunkturpaket beläuft sich auf fast 800 Milliarden Dollar. Gut ein Drittel davon ist für Steuersenkungen reserviert, zwei Drittel aber sind für zusätzliche Staatsausgaben vorgesehen, beispielsweise für den Bau von Straßen und Brücken oder für die Renovierung von Schulen und Amtsgebäuden.

Einen gewaltigen Impuls, der den stockenden Wirtschaftsmotor wieder in Gang setzen werde, verspricht Präsident Barack Obama. Er will damit 3 bis 4 Millionen Arbeitsplätze "schaffen oder sichern". Dafür nimmt er in Kauf, dass der Staatshaushalt gewaltig ins Defizit fällt. Die Neuverschuldung wird dieses Jahr auf etwa 1,5 Billionen Dollar steigen, das ist mehr als 11 Prozent des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Konjunkturprogramme in Japan haben nichts geholfen

Sind wirklich alle Ökonomen wieder Keynesianer? Keineswegs. Viele sehen mit großer Sorge, was Obama plant. "Wenn ,Brücken nach nirgendwo' finanziert werden, dann mag sich das zwar in der Wachstumsstatistik positiv niederschlagen, der Wohlstand der Amerikaner wird dadurch aber kaum gemehrt", sagt Greg Mankiw, früherer CEA-Vorsitzender und Autor eines bekannten Lehrbuchs für Makroökonomie. Auch der Princeton-Ökonom Alan Blinder gibt zu bedenken, wenn der Ausgabenrahmen der Bundesregierung plötzlich um mehr als zwei Drittel ansteige, dann seien "einige Verschwendung, Betrug und Missbrauch" unvermeidlich.

In ganzseitigen Zeitungsanzeigen haben zweihundert Wirtschaftsprofessoren, darunter die drei Nobelpreisträger James Buchanan, Vernon Smith und Edward Prescott, vehement gegen höhere Staatsausgaben protestiert. "Mehr Staatsausgaben haben nicht Japans ,verlorenes Jahrzehnt' in den 1990ern verhindert", warnen sie. Die japanische Regierung legte damals fast ein Dutzend Konjunkturprogramme auf, nach 1995 betrugen die Haushaltsdefizite zwischen 5 und 8 Prozent des BIP. Es hat aber alles nicht geholfen, die Wirtschaft zu beleben.

Der Knackpunkt der keynesianischen Ökonomie ist der erhoffte Multiplikator-Effekt: Für jeden Dollar, den der Staat zusätzlich ausgibt, soll die Wirtschaftsleistung um deutlich mehr als einen Dollar steigen, weil diejenigen Unternehmen und Arbeitnehmer, die das Geld erhalten, ihrerseits wieder einkaufen gehen und damit neue Geschäfte anregen. Doch wie hoch ist die Hebelwirkung tatsächlich? Obamas wichtigste Wirtschaftsberaterin, die CEA-Vorsitzende Christina Romer, rechnet mit einem Multiplikator von 1,5. Krugman spricht von einer "Standard-Schätzung".

Der Schuldenberg steigt und steigt

Andere sind sehr viel pessimistischer. Robert Barro von der Universität Harvard hat jüngst für Furore gesorgt, als er behauptete, der Multiplikator liege tatsächlich unter 1. Das hieße, jeder vom Staat ins System gepumpte Dollar schaffe weniger als einen Dollar Wirtschaftsleistung. Zu diesem Ergebnis kommt Barro nach der Untersuchung von historischen Episoden mit sehr hohem "deficit spending" für Rüstungsausgaben. "Die übliche keynesianische Sicht ist, dass die fiskalische Expansion im Zweiten Weltkrieg den Stimulus geschaffen habe, der uns aus der Großen Depression gebracht hat", schreibt Barro im "Wall Street Journal". Doch während die amerikanischen Rüstungsausgaben 1943/1944 (nach heutigem Wert) 540 Milliarden Dollar erreichten, erhöhte sich das reale BIP nur um 430 Milliarden Dollar. Daraus folgt ein Multiplikator von 0,8. Zu ähnlichen Werten kommt er für die Zeit des Korea-Kriegs oder des Vietnam-Kriegs.

Mit seinem Artikel hat Barro heftige Reaktionen ausgelöst. Krugman schimpfte auf seinem Blog, dass selbst "erstrangige Ökonomen wirklich saudumme Argumente" gegen den keynesianischen Stimulus der Obama-Regierung aufbrächten. Der Zweite Weltkrieg sei nicht vergleichbar mit der aktuellen Situation. Nicht alle sind da sicher. Der in Harvard lehrende Historiker Niall Ferguson etwa sagte dieser Zeitung: "Billionen-Dollar-Defizite über einige Jahre werden den Schuldenberg auf eine Höhe wachsen lassen, die man seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen hat. Wir erleben momentan die finanziellen Symptome eines Weltkrieges - ohne den Krieg."

Den Satz "We are all Keynesians now" sagte übrigens Milton Friedman, der ärgste Anti-Keynesianer, im Jahr 1965. Er fügte hinzu: "Und in gewisser Weise ist keiner mehr ein Keynesianer." Die Verwirrung damals war groß - sie ist es auch heute.

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