Mittwoch, 8. April 2009
Genom, Zufall, Systemische Gesellschaft
Heute ist es dem Plattenblümchen, das da steht ohne Förderung irgendwelcher Politaufschneider, etwas kühler: 10-15°, kaltes Schauerwetter
Luhmann-Dialog AGGRESSION 3
PF
ich verstehe Sie so, daß Sie etwas gegen Aggressivität haben. Dann argumentieren Sie weitgehend so, als ob es um ein intrinsisches Phänomen gehe. Das kann man natürlich tun, aber, wie ich denke, nicht in diesem reduktionistischen Gestus, der soziale Vorgänge (und das Exerzieren von Aggressivität ist doch offenbar sozial) auf Körpergegebenheiten plus irgendwie darin befindlicher Anlagen zusammenschnurren läßt. Dann kommt man irgendwie zu aggressiven Embryos, die sich mitunter deutlich von innen tretend und boxend gegen die Innereien der Mutter bemerkbar machen. Und: Man vergißt schließlich, daß Aggressivität ein Wort ist, ein Beobachtungsschema, das ohne Sinnsysteme keinerlei Bedeutung hat. Oder glauben Sie wirklich, daß man beobachtungsfrei über Aggressivität sprechen kann? - Ich bedanke mich aber für die schöne Idee des aggressiven Embryos (ich nenne ihn jetzt aus Gedächtnisgründen: Knut Mutt und stelle mir dabei eine schöne Comic-Serie vor) und revanchiere mich mit einem Zitat von Luhmann: "Forscher, die man mit dem Auftrag, festzustellen, wie es wirklich war, ins Feld jagt, kommen nicht zurück; sie apportieren nicht, sie rapportieren nicht, sie bleiben stehen und schnuppern entzückt an den Details." Luhmann, N., Ideenevolution, Beiträge zur Wissenssoziologie (hrsg. von André Kieserling), Frankfurt a.M. 2008, S.234
WD
Genom, Zufall, Systemische Gesellschaft
Für dieses schöne Zitat lassen sich sicher viele Namen als Beleg anführen. Und überhaupt duften Zettelkästen und Bücherstapel ja bedeutend besser. Da entfaltet sich Sinnaroma. Da könnte einem höchstens noch einfallen:
"Grau, teurer Freund, ist alle Theorie // Und grün des Lebens goldner Baum." - Faust I, 2038 f.
Zur Not noch Semmelweis und die Sepsis. Die Theorie war: Geburtshilfe ist gut. Das Ergebnis war: mehr Todesfälle. Semmelweis bildete sich eine Hypothese unsystemischer Art, die aber eine soziale Dimension besaß: Sektion und Kindbettfieber passen wie Faust auf Auge.
Die Gesellschaft, was immer das sein mag, ist natürlich eine andere Dimension. Da spielen die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien eine große Rolle. Manchmal kommt es zum Show-down at High Noon.
Frisch auf den Tisch:
"Gesuchter Verbrecher
Die vielen Gesichter des Thomas Wolf
Von Philip Eppelsheim
FAZ 07. April 2009 Thomas Wolf wird zu einer unauffälligen möblierten Wohnung irgendwo in Westeuropa gefahren sein, die er womöglich schon vor Jahren gemietet hat. Die Miete hat er seitdem wohl stets bar gezahlt. Dem Vermieter wird er seine lange Abwesenheit damit erklärt haben, dass er beruflich viel unterwegs sein müsse. Wolf wird sich vielleicht als Holländer oder Brite ausgeben. Niederländisch und Englisch spricht er ohne Akzent, Letzteres sogar mit mehreren Dialekten. Wolf wird ein unscheinbares gebrauchtes Auto vor der Wohnung stehen haben, das er im Internet oder über eine Kleinanzeige gekauft hat.
So vermutet es zumindest die „Soko Wolf“; sie ist hinter dem Entführer her, für dessen Ergreifung es 100.000 Euro Belohnung gibt. Wolf könne eigentlich überall sein, sagen die Polizisten. Und dort, wo er ist, wird er lockere soziale Kontakte knüpfen, gerne mal mit den Nachbarn trinken, „bis er hauchzart lallt, aber nie bis zum Kontrollverlust“. Er wird die Menschen in seiner Umgebung freundlich grüßen, sich anpassen. „In honorigen Kreisen wird er dementsprechend auftreten. Er kann aber auch im Schlabberlook am nächsten Kiosk stehen.“ 56 Jahre ist Wolf alt, 1,85 Meter groß, trägt Brille, hat graue Haare und Geheimratsecken, ist muskulös vom ständigen Hanteltraining - „völlig unauffällig, komplett normal“, sagen Zielfahnder.
Wolf entführte die Frau eines leitenden Bankers
Acht Jahre hat der gebürtige Düsseldorfer Wolf als Niederländer David van Dijk scheinbar „komplett normal“ im Frankfurter Westend gelebt. Ab und zu hat er sich den weißen Mercedes 200 E seiner Lebensgefährtin geliehen. Die Frau, so die Polizei, habe keine Ahnung gehabt, mit wem sie zusammenlebte. Dass dieser Mann Touren nach Brüssel und Eindhoven unternahm und Banken mit Bombenattrappen einen Besuch abstattete.
Am 27. März dieses Jahres steigt Wolf wieder in den weißen Mercedes. Er fährt nach Wiesbaden, überwältigt die Frau eines leitenden Bankangestellten in ihrem Haus, fesselt und entführt sie. Dann ruft er den Ehemann an, verlangt zwei Millionen Euro, lässt den Mann anschließend immer wieder neue Orte anfahren, um ihm Anweisungen zu geben. Am Abend deponiert der Ehemann 1,8 Millionen Euro an einer Autobahnbrücke. Wolf schnappt sich die Tasche mit dem Geld und verschwindet in einem VW Golf Variant. Die Entführte hat er in der Nähe des Übergabeorts an einen Baum gefesselt. Sie kann sich selbst befreien. Wolf meldet sich kurz vor Mitternacht von einer Telefonzelle aus bei einer Polizeistation im Hochtaunuskreis und teilt den Aufenthaltsort der Geisel mit. Seitdem fehlt von ihm, der schwarzen Tasche mit dem Geld und dem silbernen VW jede Spur.
Sein Leben finanziert er mit Verbrechen
Wolf ist wohl wieder in das „normale Leben“ zurückgekehrt. Eines ohne Luxus. „Das Geld nutzt er, um zu leben“, heißt es beim Hamburger Landeskriminalamt, das seit neun Jahren nach Wolf fahndet. Wolf hat nie einen Beruf gehabt, nie etwas gelernt. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich mit Verbrechen. Seit Thomas Wolf 15 Jahre alt ist, beschäftigt er die Polizei. Als Fahrrad- und Ladendieb beginnt er. Wolf kommt in ein Landesjugendheim, haut ab, wird zum Räuber. Auch die erste Gefängnisstrafe bleibt ohne Folgen. Er klaut weiter, fälscht sich einen Führerschein, betrügt, begeht Körperverletzungen.
Sein Leben besteht aus Straftaten, Aufenthalten in Gefängnissen und Ausbrüchen aus Gefängnissen. Im März 1990 betritt Wolf eine Bank in Kelsterbach bei Frankfurt. Ein seriös wirkender Mann mit einem Zettel und einer Waffe in seinem Koffer: „Kein Alarm. Ich schieße sofort. Du kriegst den ersten Bauchschuss.“ Wolf erbeutet 40 000 Mark. Ein Jahr später sitzt er wieder im Knast. Er versucht abzuhauen, nimmt eine Geisel im Gefängnis, stiftet zwei Jahre später eine Gefangenenmeuterei an. Am 2. Januar 2000 kehrt er von einem Hafturlaub nicht mehr zurück.
Er hatte schon viele Namen, etwa Marc Gathercole und Tom Pitkeathley
Wolf klaut Autos, indem er sich als Interessent auf Kleinanzeigen meldet und von den Probefahrten nicht mehr zurückkehrt, tritt als „Marc Gathercole“, „Tom Pitkeathley“ und unter vielen anderen Namen auf. Im April 2000 meldet sich Wolf bei einer Bank in Hamburg-Altona. Er vereinbart ein Beratungsgespräch. Zu diesem erscheint er mit einer Bombenattrappe. Er erbeutet 500 000 Mark und lässt einen der Bankangestellten mit der vermeintlichen Bombe in einer Einkaufsstraße stehen; weil Wolf auf der Attrappe einen Fingerabdruck hinterlassen hat, bezeichnet die Boulevardpresse ihn als Supertrottel.
Mittlerweile wird er Chamäleon und der böse Wolf genannt, von einigen auch Robin Hood. Die Ermittler sagen, Wolf sei es egal, ob er Spuren hinterlasse. „Er sagt sich: Ihr kriegt mich sowieso nicht.“ Nach dem Banküberfall in Hamburg verschwindet Wolf, wird zu dem unauffällig lebenden Niederländer van Dijk. Die Entführung, sein nächstes Verbrechen, plant er akribisch.
Seine Verbrechen haben sich von Fall zu Fall gesteigert
Wolf schaut, wo er mit geringstem Risiko das meiste Geld bekommen kann. „Seine Taten laufen ruhig und gesittet ab“, sagen Ermittler. Schließlich lässt Wolf sein Leben als van Dijk und die Frau, mit der er acht Jahre zusammenlebte, wie einen Koffer zurück und geht ein für ihn hohes Risiko ein. Doch immer schon gab es eine Steigerung seiner Verbrechen. Von Diebstählen zu Raub zu Banküberfällen - und nun die Entführung.
Polizeipsychologen bezeichnen Wolf als narzisstisch veranlagt. Er sei ein Soziopath. „Er weiß nicht, was eine menschliche Bindung ist. Er hat keine Empfindungen.“ Aber Wolf weiß, wie er sich verhalten muss. Als unauffälliger älterer Herr irgendwo in Westeuropa." FAZ 7.4.
Tja. Ob er auch die Lu-Li liest? Das wäre für ihn, den robusten Interaktionisten sicher hilfreich.
Ist Wolf ein geborener Soziopath? Oder ist er nur systemisch angelernt?
Dazu hat Pinker eine Anmerkung:
'Welche Faktoren prägen Persönlichkeit und Intelligenz? Steven Pinker, FAZ, 14.01.2002 (edge.org)
Nach der Geburt getrennte eineiige Zwillinge zeigen als Erwachsene eine überraschende Ähnlichkeit in Denken und Persönlichkeit (auch wenn von Identität keine Rede sein kann); gemeinsam aufgewachsene eineiige Zwillinge gleichen einander stärker als gemeinsam aufgezogene zweieiige Zwillinge. Viele Menschen reagieren auf solche Ergebnisse mit der Feststellung: „Sie wollen also behaupten, daß alles in den Genen angelegt ist.“ Aber die Forschung zeigt, daß die Gene nur für etwa die Hälfte der Variation verantwortlich sind; etwa die Hälfte muß also auf etwas zurückzuführen sein, das nicht genetischer Natur ist. Die nächste Reaktion lautet dann: „Das heißt also, die andere Hälfte muß aus der Erzieung stammen.“ Doch auch das ist falsch. Bei der Geburt getrennte eineiige Zwillinge sind einander nicht nur ähnlich; sie sind einander „nicht weniger“ ähnlich, als wenn sie gemeinsam aufwachsen. Dasselbe gilt für Geschwister, die keine Zwillinge sind: Gemeinsam aufgewachsen, sind sie einander nicht ähnlicher, als wenn sie getrennt aufwachsen. Gemeinsam aufgewachsene eineiige Zwillinge gleichen einander nur zu fünfzig Prozent, und Adoptivgeschwister sind einander nicht ähnlicher als zwei rein zufällig ausgewählte Menschen. Kinder werden einander also nicht deshalb ähnlich, weil sie im selben Haushalt aufwachsen.
Die Variation in Persönlichkeit und Intelligenz läßt sich also prozentual etwa so zerlegen: Gene fünfzig, Familie null und irgend etwas anderes wieder fünfzig. Vielleicht ist es der Zufall. Im Mutterleib wendet sich der Wachstumskegel eines Axons nicht hierher sondern dorthin; das Gehirn erhält so eine etwas andere Konfiguration. Man kann sich eine Entwicklung vorstellen, bei der sich Millionen kleiner zufälliger Ereignisse gegenseitig aufheben, so daß am Ende dasselbe Ergebnis herauskommt; man kann sich aber auch einen Prozeß vorstellen, bei dem ein zufälliges Ereignis die Entwicklung völlig aus der Bahn wirft, so daß ein Monster entsteht. Doch keins von beidem geschieht. Die Entwicklung der Organismen basiert offenbar auf komplizierten Rückkopplungsschleifen. Zufällige Ereignisse können das Wachstum aus der Bahn bringen, doch die Bahnen bewegen sich im Rahmen funktionierender Entwürfe für die betreffende Spezies, die durch die natürliche Selektion festgelegt wurden.
Was wir mit „Umwelt“ meinen – der Anteil der nicht durch die Gene bedingten Varianz – hat möglicherweise gar nichts mit der Umwelt zu tun. Wenn die nichtgenetische Varianz das Ergebnis zufälliger Ereignisse bei der Entwicklung des Gehirns sein sollte, wäre damit ein weiterer Teil unserer Persönlichkeit und unserer Intelligenz biologisch (wenn auch nicht genetisch) bedingt und damit selbst den besten Absichten der Eltern und der Gesellschaft entzogen.
Steven Pinker ist Professor für Psychologie am Department of Brain and Cognitive Sciences des Massachusetts Institute of Technololgy (MIT) in Cambridge und u.a. Autor von „Wörter und Regeln“. '
Reduktionismus erweitert um den Zufall, das unberechenbare Ereignis. Aber wir wollen doch das sichere Ereignis 1. Zumindest hat da die Systemtheorie ein Angebot, das nicht völlig abwegig ist. Mehr ist in der sozialen Gesamtschau nicht zu haben. ". O daß dem Menschen nichts Vollkomm’nes wird, Empfind’ ich nun. ..." .
Dabei wird's wohl bleiben.
Besten Gruß, Wolf Doleys
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