Samstag, 23. Mai 2009
"Armutsatlas"
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- "Armutsatlas zeigt soziale Schere
Vorpommern ist die ärmste deutsche Region
Von Philipp Krohn
18. Mai 2009 Die Armutsberichterstattung in Deutschland ist in den vergangenen Jahren immer präziser geworden. Verschiedene Großstudien und Armuts- und Reichtumsberichte haben über Einkommens- und Vermögensverteilungen sowie über die Lebenslagen armutsgefährdeter Menschen aufgeklärt. Eine Forschungslücke bestand aber darin, wie sich das Armutsrisiko räumlich verteilt. Um sie zu schließen, hat der Paritätische Wohlfahrtsverband jetzt erstmals einen Armutsatlas vorgelegt.
Die Ergebnisse sind auf den ersten Blick wenig überraschend: Die wirtschaftlich prosperierenden Bundesländer Süddeutschlands weisen eine sehr viel geringere Quote des Armutsrisikos aus als im Norden, am schlechtesten schneiden die ostdeutschen Länder ab - auch unter ihnen wachsen die Quoten tendenziell in Richtung Norden. So liegt der Anteil in Mecklenburg-Vorpommern mit 24,3 Prozent am höchsten, mit 10 Prozent in Baden-Württemberg am niedrigsten. ...
Zugrunde gelegt wurden Daten aus dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes von 2007. Als arm galt den Autoren eine alleinstehende Person, die monatlich über 764 Euro verfügt, für Paare mit zwei Kindern lag die Grenze bei 1835 Euro. Alleinerziehende mit zwei Kindern galten bei einem verfügbaren Einkommen von 1223 als arm. Damit orientiert sich die Studie an der Definition der Europäischen Union, in der die Quote bei 60 Prozent des mittleren Einkommens festgelegt wird. ..." FAZ 19.5.09
- - LB : "Bevor ich Deutschland verließ, arbeitete ich als Jobvermittler in Mecklenburg-Vorpommern. Mich entsetzte hier vielfach das Anspruchdenken vieler ALG 2 Empfänger. Gut abgesichert durch soziale Netzwerke und Nachbarschafthilfe, besaßen viele junge Leute Dinge die ich mir zu diesem Zeitpunkt nicht leisten konnte. Als wir mit einer Gruppe junger Handwerker nach Skandinavien fuhren um diese in Jobs zu vermitteln, gab es Klagen, daß es keine Brötchen zum Frühstück in der Jugendherberge gab. Arbeitsangebote die einen hervorragenden Einstig in den Arbeitsmarkt geboten hätten (15 Euro netto), wurden zum Teil abgelehnt, weil sie nicht gut genug waren. Von einer generellen Armut im Osten kann deshalb nach meiner Meinung nicht die Rede sein. Mir tun die allerdings die arbeitswilligen Menschen leid, die ohne diese Netzwerke auskommen müssen. " Carl Eric Vethal (malta22)
+ Robert Hamacher (harohama)
Sie übersehen in ihren Anmerkungen, dass die PWV Studie von NETTO Beträgen ausgeht, während Sie mit Brutto Beträgen operieren ( incl. KV/RV usw.). Kein alleinstehender ALG2 Empfänger dürfte die Grenzlinie überschreiten, allenfalls diejenigen in Hochmietzonen a la München, Stuttgart kommen in die Nähe dieses Grenzbetrages.
Gleichzeitig wäre dieser Hinweis auch einer der wichtigsten Kritikpunkten an der Studie; reine Einkommensgrenzen zu definieren und sie regional zu bewerten, ohne die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in den Regionen einzubeziehen, ist methodisch straflässig.
Dass der "Staat" der Meinung ist, dass derjenige, der staatliche Transfer- und Aufstockungsgelder bekommt, per se NICHT ARM ist, ist nachvollziehbar. Dass aber alle Wohlfahrtsorganisationen ( incl. der "Tafeln") den ALG2 Empfänger als bedürftig ansehen, zeigt, wie gesellschaftlich umstritten die "staatliche" Armutsdefinition ist.
+ Wohlfahrtsverband ist natürlich interessengeleitet.
Karl-Heinz Andresen (khaproperty)
Deswegen und wegen der Art der Feststellungen sagt das Ergebnis nicht viel aus. Bestenfalls, daß die Kosten im Nord-Osten niedriger sind, die Einnahmen dort zumeist an den Steuerkassen vorbeilaufen und das schöne Institut der Nachbarschaftshilfe für geringe Belastungen sorgt. Deswegen muß das Leben dort nicht schlechter, kann oftmals sogar sehr viel besser, als anderswo sein. Dort möchte man vor allem in Ruhe gelassen werden von den Sprücheklopfern in Berlin.
- - Miegel, Meinhard u.a.
Wirtschafts- und arbeitskulturelle Unterschiede in Deutschland. Zur Wirkung außerökonomischer Faktoren auf die Beschäftigung. Eine vergleichende Untersuchung, gefördert von der Bertelsmann Stiftung.
Bertelsmann Gütersloh 1991 Broschur 149 S.
Eine Zusammenfassung: "In den reicheren Regionen, so ergaben Miegels Befragungen, sind die Deutschen leistungsbewußter und egoistischer, in den ärmeren sind sie bodenständiger, gastfreundlicher und befriedigen mehr Bedürfnisse außerhalb des Erwerbssektors. Sich selbst schätzen die Bewohner reicher Gegenden tendenziell ordnungsliebender, religiöser und weltoffener ein, als es ihre Landsleute in ärmeren Regionen tun; letztere halten sich für bodenständiger, ehrlicher, gastfreundlicher und ausdauernder. In den schwachen Kreisen gaben 37 Prozent der Bevölkerung an, dem Nachbarn bei der Wohnungsrenovierung zu helfen, nur 28 Prozent waren es in den starken. Vierzig Prozent der Menschen in den starken Kreisen glaubten, man müsse rücksichtslos sein, um Erfolg zu haben, in den schwachen waren es nur dreißig Prozent. Unternehmer in den reicheren Regionen hatten ein viel ausgeprägter positives Bild von sich selbst als ihre Kollegen in ärmeren Gegenden.
Auch einige Verbindungen zur Geschichte förderten Miegel und seine Mitautoren zutage: Die Menschen der beiden Gruppen unterscheiden sich nicht in der Konfession, wohl aber in der Intensität ihres Bekenntnisses: Je reicher die Gegend, desto höher war der Stellenwert, den die Bürger der Religion beimaßen. In der Landwirtschaft der starken Kreise galt früher überwiegend das zerstörerische Recht der Realteilung: Die Höfe wurden immer kleiner und unwirtschaftlicher, viele junge Menschen mußten sich schon früh ihr Geld in Handwerk und Handel verdienen und bildeten zwangsläufig kapitalistische Denkweisen heraus. Die schwachen Landkreise standen früher überwiegend unter preußischer Herrschaft, die starken gehörten meist zu süddeutschen Kleinstaaten, in denen der Weg vom König zur Wirtschaft schon immer kurz war, wie die Autoren glauben. Wichtig sei dabei auch die süddeutsche Kommunalverfassung mit ihren sehr mächtigen, vom Volk direkt gewählten Bürgermeistern.
In der Auswertung dieser bemerkenswerten Fakten müssen sich die Autoren allerdings teilweise auf theoretisch sehr dünnem Eis bewegen: Die Stichproben sind angesichts der komplexen Fragestellung sehr klein, die ermittelten Unterschiede in den Mentalitäten zwar statistisch signifikant, aber auch nicht weltbewegend. Und schließlich stellt sich das klassische Problem von Henne und Ei: Prosperieren bestimmte Regionen, weil die Bevölkerung kapitalistisch denkt, oder denkt sie kapitalistisch, weil die Menschen von klein auf die Erfahrung einer prosperierenden Wirtschaft gemacht haben?
Miegel und seine Koautoren ziehen aus dem knappen Material sehr weitgehende Schlüsse: Sollten tatsächlich „regionale Wirtschafts- und Beschäftigungslagen erheblich von Neigungen und Verhaltensweisen der jeweiligen Bevölkerung abhängen, wäre nicht nur fraglich, ob das Postulat gleicher materieller Lebensbedingungen verwirklicht werden kann, sondern mehr noch, ob es überhaupt verwirklicht werden soll". Miegel bezieht diese Aussage ausdrücklich nicht nur auf Deutschland, sondern auf Europa und die ganze Welt. Angesichts der nicht absehbaren Umwälzungen in Osteuropa ist diese Aussage zumindest kühn. " Nikolaus Piper,
EINKOMMENSVERTEILUNG, Was uns reich macht, © DIE ZEIT, 10.01.1992
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