Die einen haben Glück, die anderen nicht. Das beginnt beim Genom, das sich noch niemand selbst ausgesucht hat. Und es gibt noch diejenigen, denen das Leben, das Schicksal, eine unglückliche Verkettung von Umständen besonders gemein mitgespielt hat. Es sind Myriaden, seit der Großkriegsverbrecher Alexander Theben zerstörte und die Thebaner versklaven ließ. Auch vor Gerichten herrschte immer Lug und Trug, mal stärker, mal weniger. Die normierte Ausbildung des Rechtswesens darf immerhin als Meilenstein im Prozeß der Zivilisation gelten. Doch gab es stets auch die Robespierres, die sich aus Gründen “höherer Gerechtigkeit” über jede Gesittung hinwegsetzten. Es blieb aber den Kommunisten und Nazis vorbehalten, eine Art von Gerichtsverhandlung hervorzubringen, die äußerlich der Rechtsfindung ähnelte, in der Sache aber reine Vernichtungsjustiz war. Und die aus Propagandagründen unglückliche Menschen ermordete wie im Falle der naiven SED-Mitglieder Elli Barczatis und Karl Laurenz.
War Robespierre ein perverser Eiferer gewesen, der aus Moralismus mordete, so scheint es sich bei den braunroten Richterfunktionären um Sadisten zu handeln, die die WIR-Abweichung der Angeklagten aus Prinzip und innerem Bedürfnis bestrafen wollen.
In dem Ostberliner Prozeß unter Anleitung der Robespierre-Figur der “Roten Guillotine” Hilde Benjamin diente der vorsitzende Richter Walter Ziegler der neuen roten Diktatur wie er zuvor der alten braunen Diktatur gedient hatte.
Beide Diktaturen verfolgten die Abweichung von der Gemeinschaft des Volkes und der Werktätigen, die Abweichung vom WIR. Die Bänder des Prozesses hat die Stasi aufgenommen, sie wurden digitalisiert und veröffentlicht:
Stiftung Radio Basel (Hg.)
Maximilian Schönherr
Featurepreis 2012 - Fallbeil für Gänseblümchen
Der Spionageprozess gegen Elli Barczatis und Karl Laurenz im Originalton
Feature
November 2012, 1 CD, Laufzeit: 53 Minuten
CHF 19.90 / € 13.90
ISBN: 978-3-85616-596-3
Ein O-Ton-Dokument aus dem Gerichtssaal über Liebe, Verrat und Verzweiflung
Gütesiegel «Prädikat: Hörenswert» vom Hörspiegel (wird nur sehr selten und an die Besten unter den Besten vergeben)
23. September 1955, ein Gerichtssaal in Ostberlin: Die langjährige Sekretärin des DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl und ihr Geliebter sind der Spionage für den Westen angeklagt. Die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen. Doch die Staatssicherheit schneidet die Verhandlung mit.
Jetzt, über ein halbes Jahrhundert später, sind die Bänder zugänglich: ein Originaldokument, das von Liebe und Angst erzählt und das die Furcht der SED-Führung offenlegt vor den Aktivitäten der westdeutschen «Organisation Gehlen», später Bundesnachrichtendienst. Zwei Menschenschicksale im Getriebe des Kalten Krieges, ehemals überzeugte Genossen vor einem unbarmherzigen Gericht.
Das Feature von Maximilian Schönherr sprengt den Rahmen deutsch-deutscher Vergangenheitsbewältigung und zeigt exemplarisch, wie Rechtsprechung in einer Diktatur funktioniert. Ein gewaltiges Stimmendrama, das unter die Haut geht.
«Fallbeil für Gänseblümchen» wurde im Rahmen des internationalen featurepreis '12 der Stiftung Radio Basel mit dem ersten Preis ausgezeichnet.
‹Fallbeil für Gänseblümchen› ist in seiner Fokussierung ungewöhnlich konkret und anschaulich. Es ist ein überwältigendes Zeitdokument, das einen einzigartigen Blick in die finstere Festung der frühen DDR-Justiz gewährt. (Zeitzeichen, April 2013)