Mittwoch, 19. Juli 2017

Von Sparta bis Ankara


Es passiert nicht alle Tage, daß man zusehen kann, wie sich eine Demokratie in eine Diktatur verwandelt. Die Türkei gewährt diese Lektion. Staunend und angewidert verfolgt man seit einem Jahr, wie nach einem mutmaßlich inszenierten Putsch sofort Massenverhaftungen stalinistischen Ausmaßes stattfinden. Erdogan hat das in den neunziger Jahren angekündigt. Die Demokratie sei die Straßenbahn, die die islamistische AKP zu ihrem Ziel fahre. Das wurde 2016 erreicht, seitdem ist Erdogan in den Panzer umgestiegen und schaltet die kurdische, die säkulare und die gülen-islamische Opposition aus durch brutale Entlassungen in Armee, Justiz, Polizei, Verwaltung sowie Schulen und Hochschulen. Alle Mäßigung und Verstellung hat der neue Sultan fahren lassen, und er verfolgt auch die Opposition im Ausland mit geheimdienstlichen und propagandistischen Mitteln. Der Westen muß tatenlos zusehen, er besitzt keine Einflußmöglichkeiten, auch, weil er mental nicht in der Lage ist, seine Grenzen gegen Schlepper und Eindringlinge zu schützen und daher die Türkei als Abwehr braucht.
Die zeitgeschichtliche türkische Lektion besitzt auch eine historische Dimension. Das militaristische Sparta besiegte im langen pelopponesischen Krieg die attische Demokratie. 1851 beendete der Staatsstreich des Charles Louis Napoléon Bonaparte
die 2. Republik und erhob sich zum Diktator Napoleon III., Lenin verjagte 1917 Kerenski und errichtete eine blutige Diktatur, gefolgt von der stalinistischen Willkürherrschaft. Wie Erdogan promovierte sich Hitler durch ein Ermächtigungsgesetz zum Diktator, und Mao siegte im chinesischen Bürgerkrieg.

Demokratie ist eine fragile Herrschaftsform, die nur solange Bestand hat, wie sie eine große Mehrheit an Anhängern besitzt. Im Falle der Türkei ist dies offensichtlich nicht der Fall. Selbst in Deutschland kann Erdogan viele Anhänger mobilisieren, die mehrheitlich für sein Ermächtigungsgesetz gestimmt haben. Die Annahme, daß der Islam demokratiefähig sei, ist durch die Sultanisierung der Türkei widerlegt. Der Koran gewährt keine individuelle Freiheit, die Grundlage der Demokratie, die nicht nur einen Abstimmungsmodus darstellt. Deswegen war es den Islamisten möglich, die langen Jahre des säkularen Kemalismus zurückzudrehen. Der neue Nationalfeiertag - die Ausrufung des Putsches und des Kriegsrechts - fand bei großen Teilen der Bevölkerung starken Widerhall. In einem Bericht des Deutschlandfunks kam eine Mutter zu Wort, die die Verwundung ihrer älteren Tochter durch einen Schuß quasi feierte, weil sie auf Geheiß Erdogans in jener Nacht auf die Straße gegangen sei. Wie in arabischen Kreisen äußerte sie die Ansicht, es sei ihr fast lieber gewesen, ihre Tochter wäre als Märtyrerin gestorben. Für den Führer und dessen Ideologie. Ein Buch des Imam-Sohnes Samed abdel Hameds trägt den bezeichnenden Titel “Der islamische Faschismus”.  

























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