Sonntag, 7. Oktober 2018

Vom Auge zur Geschichte


Kann man glauben, was man sieht?
Meistens.
Aber nicht immer.
Es gibt viele Störmöglichkeiten.
Das Sehen fängt rein physikalisch vorn beim Auge an.
Und hört im Hinterkopf mit der Bedeutungsgebung in der Sehrinde zunächst auf.
Daher sehen Zeugen eines Unfalls oft recht verschiedene Sachen.
Auf Zeugen allein ist deswegen wenig Verlaß.

https://www.dasgehirn.info/wahrnehmen/sehen/sehen-kein-selbstverstaendliches-wunder

Ganz schwierig wird es in der Geschichte.
“Die Erforschung der Vergangenheit … hat, soweit das Wissen um diese Epochen sich mündlichen Informationen und Erinnerungen verdankt … in weitem Umfang mit ausgedehnten, noch nicht durchschauten, vielleicht nie zu durchschauenden wirklichkeitsfernen episodischen Datensätzen des Gedächtnisses und entsprechenden und entsprechend fehlerhaften Geschichten zu rechnen …”

Johannes Fried, Der Schleier der Erinnerung, Grundzüge einer historischen Memorik, 2004, S. 47

Johannes Fried resümiert seinen Abschnitt 9.2 “Wer war Benedikt von Nursia?”:

“Auch der Blick auf Benedikts Leben läßt durch erinnerungskritische Textanalyse anderes hervortreten, als bisher gesehen wurde: Wie nämlich eine ideale Mönchs- und Abtsgestalt entstand, … wie sie dann von Fremden literarisch aufgenommen wurde und dabei historisch zu wirken begann, indem ihre Fiktionalität nicht mehr erkannt und für Wirklichkeit gehalten wurde, und wie diese irreale Realität endlich an ihren Ursprungsort zurückkehrte, um dort verspätet ins Leben zu treten. Auch dieser Weg läßt - nicht anders als Chlodwigs Taufe - das kulturschöpferische Zusammenspiel von Vergangenheitsbildern und Gegenwartsgestaltung, von individuellem und kulturellem Gedächtnis in seiner nimmer endenden Modulationsfreude erkennen und nicht zuletzt, daß der Historiker in dieses Spiel hineinleuchten kann, auch wenn er dessen Regeln (noch) nicht kennt.










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