Man erinnert sich an Odysseus und Penelope, Helena und Paris, Daphnis und Chloe - deswegen sieht Mitterauer immer auch zurecht die antiken Grundlagen für die europäische Entwicklung der gattenzentrierten Ehe. Die nordischen Verhältnisse beachtet er weniger, aber es ist durchaus bemerkenswert, was Tacitus in der GERMANIA schreibt:
“Die Morgengabe bringt nicht das Weib dem Manne, sondern dem Weibe der Mann. Bei der Ueberreichung finden sich Eltern und Verwandte ein und mustern die Geschenke. Geschenke – aber nicht weibliche Luxusdinge oder Schmucksachen für die Neuvermählte, sondern Rinder und ein gezäumtes Roß und ein Schild mit Schwert und Speer. Gegen diese Gaben wird die Frau dem Manne zutheil, dem sie selbst ihrerseits einige Waffen zubringt. Diese Dinge gelten als das festeste Band, als das heilige Geheimniß, als die Schirmgötter der Ehe. Das Weib soll nicht wähnen, daß sie außerhalb der männlichen Gedankenwelt, außerhalb der kriegerischen Ereignisse stehe. Darum wird sie schon auf der Schwelle des Ehestands belehrt, daß sie eintritt als Genossin von Mühsal und Gefahr, im Frieden und im Kriege mit dem Manne zu dulden und zu wagen. Also verkünden ihr die gejochten Rinder, das gezäumte Roß, die dargebrachten Wagen; so muß sie leben, so muß sie sterben; was sie heut empfängt, das soll sie unentweiht und in Ehren dereinst ihren Söhnen übergeben, von diesen sollen es ihre Schwiegertöchter entgegennehmen, ihre Enkel es erben.”
(Tacitus, Die Germania.)
Tacitus war jedoch selbst nicht in Germania, sondern schöpft aus Quellen wie Caesar und Titus Livius.
Dennoch kann diese Darstellung mit erklären, warum zwar das orientalische Christentum mit Paulus und Thomas die asiatische Vorstellung von dem Weib als “verfehltem Mann” (Thomas von Aquin) transportiert, aber diese nicht umfänglich dem Norden überstülpen kann. Mit Tacitus lassen sich viele okzidentale Erscheinungen gut vereinbaren, seien es die Kaiserinnen wie Theophanu oder die Witwe Loretta von Salm, die den aggressiven Erzbischof von Trier gefangensetzt. (Fischer-Fabian, Die Deutschen im späten Mittelalter, S. 219ff.) Auch das merkwürdige Phänomen des Minnesangs sei erwähnt.
Mitterauer betont die große Bedeutung der christlichen Konsensehe und die Parallelisierung der Verwandschaftsbedeutung beider Ehepartner, sieht aber auch, daß im Osten “trotz Christianisierung patrilineare Traditionen der vorchristlichen Zeit vielfach weiterhin wirksam” blieben.* Das dürfte auch für die Vergleichsräume China und islamische Länder gelten, sie “erweisen sich im historischen Rückblick als stark abstammungsorientierte Kulturen - den jeweiligen Wurzeln nach wohl aus sehr unterschiedlichen Gründen. Der Effekt ist aber weitgehend derselbe. Patrilineare Strukturen bedeuten für die Ordnung der Familie starke Bindungen - insbesondere die Notwendigkeit, die männliche Linie fortzusetzen.”* (Mitterauer, Warum Europa? S. 103)
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