“Die christliche Konzeption einer über die Blutsverwandtschaft hinausgehenden Bruderbeziehung hatte ihre generelle Wurzel in der allgemeinen Gotteskindschaft der Christen, ihre spezielle im Brudermodell der Klostergemeinschaft. Das ursprünglich religiös begründete Bruderschaftswesen hat in der europäischen Sozialgeschichte enorme Bedeutung gewonnen. Zünfte, Vereine, genossenschaftliche Organisationsformen aller Art gehen auf dieses quasiverwandschaftliche Modell der Bruderschaft zurück. Auch durch Sozialformen dieser Art wurden Familien in ihren Funktionen entlastet - im Bereich der sozialen Sicherheit etwa schon im Mittelalter durch die sogenannten ‘Bruderladen’. Daß sich Europa zu einer ‘horizontalen Gesellschaft’ entwickelt hat, ist wesentlich auf den Einfluß solcher genossenschaftlicher Sozialformen zurückzuführen. Als eine für die europäische Gesellschaftsentwicklung besonders wichtige quasiverwandtschaftliche Beziehung auf der Basis der Abhängigkeit sei die Lehensbindung genannt. Ihre hausrechtliche Komponente steht außer Zweifel. Daß Zusammenhänge mit geistlicher Verwandtschaft durch Patenschaft bestehen, wird durch allfällige Strukturanalogien nahegelegt.”*
Mittauer schürzt hier mit einer gewissen Plausibilität die ganz großen Knoten. Die Interdependenz ist dabei zu beachten. Der Lehnsherr bleibt der Herr, aber die Bauern besitzen bei Tüchtigkeit die Aussicht auf eine freie Bauernstelle. Der untüchtige Bauer verbleibt in Abhängigkeit und Fürsorge der Herrenfamilie.
Ich erinnere mich, wie engagiert die ‘rote Gräfin’ Dönhoff seinerzeit letzteres betonte und den Familiencharakter der ostpreußischen Gutsherrschaften hervorhob. Nach der Bauernbefreiung strebten viele in die Städte, wo sie aber dieser grundherrlichen Fürsorge verlustig gingen und zu eigenverantwortlicher Lebensführung oftmals nicht in der Lage waren. Der Sozialstaat kann nur unzureichend die persönliche Beziehung, Lenkung und Hilfe ersetzen. Gerade bei mental schwachen Menschen. Das spiegelt sich in der modernen Verwahrlosung in labilen Familien, in Scheidungsraten und serieller Polygamie, in Drogenmilieus.
*Mitterauer, Warum Europa? S. 108
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