Sonntag, 13. Juli 2008

Ökonomische Staatsanalyse, Neoliberalismus

- " Ökonomische Staatsanalyse. FAZ 07. Juli 2008 Charles Blankart lehrt an der Humboldt-Universität in Berlin. 1991 hatte er eine erste Fassung seines Lehrbuches vorgelegt, dem in diesem Jahr die siebte, vollständig überarbeitete Auflage folgt. Der Umfang hat von 481 auf 649 Seiten zugenommen. Die Gliederung in vier Teile ist beibehalten worden.
Im ersten Teil werden die Grundlagen der ökonomischen Theorie des Staates diskutiert. Der Staat wird dabei nicht nur als ein System von Regeln (Verfassung, Gesetze, Verordnungen), sondern auch als Organisation von Menschen aufgefasst, die auf Anreize reagieren und sich am eigenen Vorteil orientieren. Damit ergeben sich überall Prinzipal-Agent-Probleme. Denn der Bürger als Souverän in der Demokratie kann ja andere Interessen als seine Agenten, Politiker und Beamte, haben.
Er hat auch Schwierigkeiten dabei, sie zu überwachen. In diesem Zusammenhang sind die im Buch angegebenen Bürokratieüberwälzungskosten ein wichtiges Detail. In der ersten Auflage wurden sie auf "nur" 10 Milliarden DM, jetzt (für das Jahr 2003!) auf 46 Milliarden Euro geschätzt. Ob diese vom Staat auf die Privatwirtschaft abgewälzten und offensichtlich dynamisch wachsenden Kosten im Interesse der Prinzipale oder eher ihrer Agenten sind, sollte der Leser und Wähler bedenken. Im ersten Teil werden auch Probleme wie öffentliche Güter, Externalitäten und Marktversagen besprochen, mit denen die Notwendigkeit von Staat und Staatseingriffen begründet werden kann. Als Mitdenker der "Public Choice"-Schule weiß Blankart natürlich, dass Marktversagen keine hinreichende Rechtfertigung von Staatseingriffen sein kann, weil es auch Staatsversagen gibt.
Im zweiten Teil des Buches geht es um die Finanzierung der Staatstätigkeit, um Besteuerungsprinzipien und Steuerarten, um Steuervermeidung, um Staatsverschuldung und soziale Sicherheit. Blankart diskutiert dabei nicht nur Probleme, sondern auch Reformvorschläge dazu, wie man die Staatsschulden oder die Kosten der Renten- oder Krankenversicherung begrenzen könnte. Besonders wichtig ist das Problem der Inzidenz bei Steuern und Sozialabgaben, denn die Last wird durchaus nicht immer von denen getragen, die sie zu tragen scheinen oder nach der Rhetorik von Politikern tragen sollten.
Im dritten Teil geht es um öffentliche Haushalte und Bürokratie, um öffentliche Aufträge und Unternehmen, aber auch um staatliche Versuche, externe Effekte des Wirtschaftens auf Umwelt und Klima in den Griff zu bekommen. Verglichen mit der ersten Auflage, ist der vierte Teil am gründlichsten überarbeitet worden. Er befasst sich mit dem Föderalismus und Staatengemeinschaften, enthält aber auch ein nicht ganz unter die Überschrift des vierten Teils passendes Abschlusskapitel.
Die Neufassung dieses Teils des Buches ergibt sich einmal aus der institutionellen Entwicklung der Europäischen Union bis hin zum Vertrag von Lissabon, zum anderen aber auch aus theoretischen Neuerungen. Offensichtlich konnte 1991 die erst 1995 in den Vereinigten Staaten publizierte Idee des markterhaltenden Föderalismus noch nicht berücksichtigt werden. Jetzt aber wird sie es.
Blankarts Buch ist umfassend und - soweit ökonomische Fachbücher das überhaupt sein können - auch gut lesbar. Es baut auf einem klaren theoretischen Standpunkt (Public Choice) und dem entsprechenden Menschenbild auf. Eigentlich sollten vor allem Abgeordnete und andere Politiker das Buch lesen, weil Politik sogar dann Kosten verursacht, wenn sie nicht die öffentlichen Haushalte belastet.
Es ist auch zu hoffen, dass Politikwissenschaftler und Staatsrechtler mit den wirtschaftlichen Folgen institutioneller Regelungen und politischer Eingriffe vertraut gemacht werden. Wer hätte schon gewusst, dass das bestehende System der Hochschulfinanzierung Anreize zur Unterfinanzierung enthält? Dazu, derartige Wissenslücken abzubauen, kann das Buch beitragen.
ERICH WEEDE FAZ-Buchshop : Öffentliche Finanzen in der Demokratie, von Blankart, Charles B., 2008, 35€

- FAZ 07. Juli 2008 Neoliberalismus: Philip Plickert: Wandlungen des. Eine Studie zu Entwicklung und Ausstrahlung der "Mont Pèlerin Society". Lucius & Lucius Verlag. Stuttgart 2008. 528 Seiten. 59 Euro.
07. Juli 2008 Ein Gespenst geht um: der Neoliberalismus. Woher kommen dessen ökonomische Theorien? Philip Plickert, Redakteur im Wirtschaftsteil dieser Zeitung, beleuchtet in einer weit ausgreifenden Studie die zeit- und ideengeschichtlichen Ursprünge und Hintergründe des Neoliberalismus. Im Fokus steht die 1947 gegründete Mont Pèlerin Society, das wichtigste Zentrum der Neoliberalen. Mitglieder waren so faszinierende und einflussreiche Denker wie Friedrich von Hayek, Ludwig von Mises, Walter Eucken, Wilhelm Röpke, Ludwig Erhard, James Buchanan und Milton Friedman. Tatsächlich wären ohne ihre intellektuelle Vorarbeit die radikalen wirtschaftspolitischen Wenden unter Ludwig Erhard und später von Margaret Thatcher und Ronald Reagan kaum denkbar gewesen. F.A.Z.

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