Freitag, 3. April 2009
60 Jahre Nato
Quo vadis, Nato?
60 Jahre Nato
Lebendig, aber innerlich zerrissen. Von Nikolas Busse
03. April 2009 Dass die Nato ihr sechzigjähriges Bestehen feiert, ist ein bemerkenswerter Vorgang. In der Geschichte war den wenigsten Militärbündnissen ein langes Leben beschieden; die meisten blieben Waffenbrüderschaften für ein, zwei Schlachten. Deshalb waren am Ende des Kalten Krieges viele ernstzunehmende Beobachter der Meinung, dass das westliche Bündnis seinen größten Sieg, den über den Kommunismus, nicht überleben werde. Eine Allianz ohne gemeinsame Bedrohung schien wie ein Fußballverein ohne Spielfeld.
Diese Vorhersagen haben sich nicht erfüllt. Die Mannschaft ist nicht auseinandergelaufen, es sind sogar neue Staaten hinzugekommen. Am Wochenende wird die Nato Kroatien und Albanien als jüngste Mitglieder begrüßen, sie zählt jetzt 28 Länder. Zugleich kehrt Frankreich, das so lange glaubte, es sei alleine stark genug, in die militärische Integration des Bündnisses zurück. Auch Kriege hat die Nato inzwischen geführt, erst auf dem Balkan und dann in Afghanistan. Neuerdings beteiligt sie sich an der Pirateriebekämpfung und denkt über sogenannte neue Sicherheitsrisiken nach: Angriffe aus dem Cyber-Space oder die Sicherung der Energiezufuhr.
Innerlich zerrissen
Das sieht aber alles besser aus, als es ist. Das Selbstlob, das bis Samstag in Straßburg, Baden-Baden und Kehl zu hören sein wird, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Nato in Wirklichkeit innerlich zerrissen ist. Auch wenn sie Zehntausende Soldaten in Einsätze geschickt hat, so fehlt ihr doch seit Jahren ein strategischer Konsens. Den großen Herausforderungen der jüngsten Zeit, vom Terrorismus über die Proliferation bis zu Russlands Großmachtallüren, ist sie als Koalition der Unwilligen und Streitenden begegnet.
Zum Teil hat das schlimme Folgen gehabt, die der Öffentlichkeit kaum bewusst sind. Gerade in Deutschland nimmt man das Bündnis fast nur noch unter dem Gesichtspunkt wahr, ob seine (amerikanischen) Generäle mehr Soldaten von der Bundeswehr verlangen oder nicht. Dass die Verbündeten lange zu wenig Truppen nach Afghanistan geschickt haben, hatte jedoch in erster Linie die afghanische Zivilbevölkerung auszubaden. Sie wurde eine leichte Beute für die Hinterhalte der Taliban, weil es niemanden gab, der sie schützen konnte.
Die Großmächte ziehen ihren Kopf aus der Schlinge
Dahinter verbirgt sich eine große Schwäche dieses eigentlich so mächtigen Bündnisses: das Auseinanderfallen der geopolitischen Sichtweisen seiner Mitglieder. Die Vormacht Amerika sah die Nato unter Bush als Pool für globale Militäreinsätze im Interesse des Westens; sein Nachfolger wird das nicht viel anders handhaben, auch wenn er den Verbündeten aufmerksamer zuhört. Die Briten schließen sich Washington in der Regel an. Die Osteuropäer dagegen sind nur in der Nato, weil sie Angst vor Russland haben. In Skandinavien interessiert man sich heute für den hohen Norden, wo Konflikte um die vermutlich rohstoffreiche Arktis erwartet werden. Die Mittelmeer-Anrainer wiederum haben ihre südliche Nachbarschaft im Blick, die Schwarzmeer-Länder die ihrige. Wie schwer das unter einen Hut zu bringen ist, zeigte sich, als die Osteuropäer nach dem Krieg in Georgien kaum mit dem Wunsch durchdrangen, wieder Planungen für den - allerdings noch immer unwahrscheinlichen Fall - eines russischen Angriffs vorzunehmen.
Der vielleicht erstaunlichste Zug der heutigen Nato ist allerdings die Orientierungslosigkeit Deutschlands. Die Deutschen, die ohne die Allianz kaum in Frieden vereint wären, sind im Bündnis zuletzt durch Wegducken und Neinsagen aufgefallen. Dass im umkämpften Süden Afghanistans Niederländer und Kanadier den Kopf hinhalten, die alles andere als militärische Großmächte sind, ist auch kein Ruhmesblatt für Franzosen und Italiener, die anderen großen kontinentaleuropäischen Verbündeten. Im Fall Deutschlands ist aber bedenklich, dass hier ein aufs Humanitäre reduziertes außenpolitisches Bewusstsein zum Ausdruck kommt. Die Mehrheit der Deutschen versteht seit dem 11. September 2001 die Welt nicht mehr, deshalb führt die Bundesregierung in der Nato Abwehrkämpfe zur Beruhigung der öffentlichen Meinung im eigenen Land.
Falsche Kompetenzen
Auf dem Nato-Gipfel wird das Bündnis sich selbst den Auftrag geben, ein neues strategisches Konzept zu erarbeiten. Das wird immerhin die Grundlage für die militärische Planung der nächsten Jahre, vielleicht Jahrzehnte sein. Bevor die Diskussion überhaupt losgeht, haben die deutschen Politiker aber schon routiniert die Befindlichkeiten ihrer Klientel bedient. Die Bundeskanzlerin und der Außenminister sagten, die Nato solle keine Weltpolizei werden und sich am besten noch mit dem Klimawandel (Frau Merkel) oder der nuklearen Abrüstung (Steinmeier) befassen.
Das ist schön und gut, aber für solche Fragen gibt es andere internationale Organisationen. Die Nato dient in erster Linie dazu, militärische Sicherheit zu gewährleisten, und in der globalisierten Welt führt das eben über die Landesgrenzen hinaus auf ferne Kontinente. Sicherheit braucht auch Deutschland, das durch seine Verfassung und historische Prägung kein anderes der Nato vergleichbares Instrument der Verteidigungspolitik hat. Das muss sich unsere politische Klasse wieder stärker bewusstmachen.
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